Riane Eisler

Die verkannten Grundlagen der Ökonomie

Ausgabe: 2021 | 2
Die verkannten Grundlagen der Ökonomie

Wie kann es sein, dass Menschen in der Welt so viel Schaden anrichten? Trotz ihres kreativen Potenzials und ihrer Empathiefähigkeit? Riane Eisler hat dafür eine plausible Erklärung: die Unterbindung konstruktiver menschlicher Beziehungen in unserem Wirtschaftssystem bei gleichzeitiger Abwertung der mehrheitlich noch immer von Frauen verrichteten sorgenden Tätigkeiten im modernen Industriekapitalismus. Laut gängiger Wirtschaftstheorie ergebe sich der Wert eines Produktes oder einer Dienstleistung aus Angebot und Nachfrage. Dies greife jedoch zu kurz, weil Bedürfnisse kulturell geformt sind und häufig künstliche Knappheiten erzeugt werden. Viel vernünftiger wäre es, diesen Wert daran zu bemessen, ob damit dem Überleben und der Weiterentwicklung der Menschen gedient wird. Die Soziologin und Kulturhistorikerin spricht daher von einer Caring Ökonomie, die auf Fürsorge basiert. Ihr 2007 unter dem Titel The Wealth of Nations in den USA publiziertes und in zahlreiche Sprachen übersetztes Buch ist nun in aktualisierter Form auch auf Deutsch erschienen.

Der Mensch im Mittelpunkt

„So seltsam es klingen mag: Wenn wir unser Wirtschaftssystem ändern wollen, dürfen wir uns nicht auf die Wirtschaft allein konzentrieren“ (S. 36), so Eisler im einleitenden Kapitel „Wirtschaft im Weitwinkel“. In Wirtschaftssystemen gehe es nicht um Verbindungen zwischen Gütern, sondern zwischen Menschen. Aus diesem Grund müssten Menschen sowie Tätigkeiten, die menschliches Leben und menschliche Beziehungen verbessern, im Mittelpunkt wirtschaftlicher Analysen stehen. Dies tut Eisler, indem sie dem die herrschende Ökonomik bestimmenden Dominanzsystem ein „Partnerschaftssystem“ (S. 39) entgegenstellt. Während sich im Dominanzsystem die wirtschaftliche Kontrolle in den Händen derjenigen konzentriere, die sich an der Spitze der Hierarchie befinden, sei ein Partnerschaftssystem durch demokratische und egalitäre Strukturen „sowohl in Familien als auch in der Gesellschaft insgesamt“ (S. 66) geprägt. Dies bedeute nicht eine hierarchiefreie Gesellschaft, sondern eine, die auf „funktionellen Hierarchien“ beruhe, in denen nicht mit Angst und Druck gearbeitet wird, sondern in denen „Eltern, Lehrende und Führungskräfte begeistern, unterstützen und stärken“ (ebd.).

Unternehmen mit einem wertschätzenden Führungsstil seien besser aufgestellt und Gesellschaften, die auf Fürsorge aufbauen, stabiler und zukunftsfähiger, so Eisler: „Eigentlich bräuchten wir keine Statistiken, um zu zeigen, dass Care-Arbeit die wertvollste, elementarste und menschlichste Tätigkeit ist.“ (S. 56) Dennoch plädiert die Ökonomin für die Berücksichtigung der in der Gesellschaft ehrenamtlich erbrachten Sorgeleistungen in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen – eine Forderung, die ein Wesensbestandteil der feministischen Ökonomie ist. Das „Bruttomarktprodukt“ würde ergänzt durch ein „Bruttohaushaltsprodukt“, welches die unbezahlten Tätigkeiten misst (S. 176). Immer wieder plädiert Eisler für eine neue Wirtschaftstheorie jenseits von Kapitalismus und Sozialismus, die sie als „Partnerismus“ bzw. „Ökonomie der Partnerschaft“ (S. 114) bezeichnet. Sensibilität für die ökologischen Krisen, die Überwindung des Gender-Gap sowie die Förderung der menschlichen Potenziale sind Schlüsselelemente im Denken von Riane Eisler. Neben der Veränderung von Einstellungen, einer partnerschaftlichen Erziehung und der Etablierung neuer Unternehmenskulturen fordert die Ökonomin selbstredend auch die Veränderung von Strukturen, etwa ein strengeres Kartellrecht oder die verpflichtende Aufnahme von „Angestellten und Fürsprechern der Kommune“ (S. 130) in die Aufsichtsräte von Unternehmen. Auch die Zerschlagung großer börsennotierter Konzerne sowie eine Rückkehr zu regionalen Wirtschaftskreisläufen ist für die Ökonomin vorstellbar. Hoffnungen setzt Eisler auf den Übergang in ein „postindustrielles Zeitalter“, denn die Automatisierung lade ein zu „einer Neubestimmung dessen, was wir unter produktiver Arbeit verstehen“ (S. 137). Und die Neurowissenschaften würden uns ganz neue Erkenntnisse über menschliche Zufriedenheit vermitteln.

Ein neues Verständnis von Wirtschaft

Nicht alle genannten Vorschläge des Buchs sind neu, aber sie setzen diese in den Kontext eines neuen Verständnisses von Wirtschaft. Ob des nationalsozialistischen Regimes sah sich Eisler als Jüdin gezwungen 1939 aus Wien zu fliehen. Diese Erfahrung, so schreibt sie, habe sie dazu bewogen, den Ursachen für autoritäre Gesellschaften nachzugehen und nach Alternativen zu suchen. Angesichts neuer Polarisierungen durch ein ökonomisches System, das immer mehr Menschen ausgrenzt und Gesellschaften spaltet, sind die vorliegenden Ausführungen höchst aktuell und sie gewinnen aufgrund der Corona-Pandemie nochmals an Brisanz.