Vollbeschäftigung durch Wachstum ist obsolet

Ausgabe: 2010 | 2

Der Wirtschaftswissenschaftler Karl Georg Zinn zeigt, dass die Zahl der Erwerbstätigkeiten in der BRD mit über 40 Millionen zwar ein „bisheriges Höchstniveau“ erreicht habe, dieser Anstieg aber hauptsächlich Resultat der fortlaufenden Umwandlung von Voll- in Teilzeitbeschäftigung und der Zunahme von Minijobs sowie anderer Formen atypischer Beschäftigung war. Entscheidend für Arbeitsmarktpolitik sei daher das Arbeitsvolumen, welches von 1991 bis 2004 um 9,1 Prozent gesunken sei. In absoluten Zahlen: von 51.785 Mio. Arbeitsstunden (1991) auf 47.051 Mio. (2004). Vermehrte Teilzeit bzw. Kurzarbeit sieht der Experte auch als Grund dafür, dass die Arbeitslosigkeit trotz des Produktionseinbruchs angesichts der Finanzkrise 2008/2009 die Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht wesentlich gestiegen ist. Der Strukturwandel Richtung Dienstleistungsgesellschaft werde Teilzeit weiter vorantreiben, so die Überzeugung von Zinn. Er schlägt daher vor, aus dem „Laster eine Tugend“ zu machen: „Wenn ohnehin der Trend zu  mehr Teilzeitarbeit anhalten wird, käme es darauf an, Teilzeitarbeit besser  zu entgelten und angemessen sozial abzusichern.“ (o. S.) Die Tarifpolitik sollte bei anstehenden Lohnrunden Produktivitätssteigerungen für Lohnerhöhungen im Teilzeitbereich und für Arbeitszeitverkürzungen bei den Vollzeitstellen nutzen. „Längerfristig würden sich dann Teil- und Vollzeitbeschäftigung aufeinander zu bewegen.“ (o. S.) Umweltzerstörung, Ressourcenerschöpfung, Unterschiede im „Wachstumsbedarf“ zwischen altindustrialisierten Wohlstandsländern und den Entwicklungs- und Schwellenländern nennt der Experte als Gründe, warum wir uns auf Stagnation bzw. „Vollbeschäftigung ohne Wachstum“ als Zukunftsoption einstellen sollen. Möglich wäre dies wenn als Modell der Arbeitsgesellschaft Teilzeit ein Einkommen verschafft, „das einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht“. (o. S.)

 

Zwei weitere Bände geben – wenn auch mit unterschiedlichem Fokus über konkrete Ausgestaltungen neuer Arbeitszeitmodelle Auskunft. Thomas Pochardt und Steffen Raab skizzieren das in Deutschland seit einigen Jahren per Gesetz mögliche Instrument von Arbeitszeit- bzw. Zeitwertkonten. Diese ermöglichen flexible Gestaltungen der Arbeitszeiten etwa im Laufe eines Jahres oder – im Fall der Zeitwertkonten – sogar über die gesamte Lebensarbeitszeit hinweg. Arbeitszeiten können bei hoher Auftragslage angespart und später als Zeitausgleich oder gar als verfrühter Ausstieg aus dem Erwerbsleben konsumiert werden. Das so genannte „Flexi-Gesetz“ regelt dabei den Erhalt der sozialen Leistungen; so können Zeitguthaben auch bei Arbeitsplatzwechsel ins neue Unternehmen mitgenommen werden.

 

Ein Band des Österreichischen Gewerkschaftsbundes informiert über das Instrument der Kurzarbeit, deren rechtliche Rahmenbedingungen sowie deren Chancen, in wirtschaftlichen Krisen Arbeitsplätze zu erhalten. Und an Betriebsräte richtet sich ein äußerst praxisrelevantes Buch über den Umgang mit Unternehmenskrisen. Informiert wird darin über Basics der Unternehmensbilanzierung ebenso wie über die richtige „Krisenkommunikation“ im Unternehmen. H. H.

 

Zinn, Karl Georg: Vollbeschäftigung durch Wachstum ist obsolet. www.denk-doch-mal.de/node/362. Diese Homepage publiziert Beiträge zu Arbeits- und Sozialpolitik namhafter ExpertInnen, die zu neuen Sichtweisen einladen.

 

Pochadt, Thomas; Raab, Steffen: Zeitwertkonten. Hamburg: Murmann, 2009. 168 S., € 16,90 [D], 17,40 [A], sFr 28,79 ; ISBN 978-3-86774-088-3

 

Beschäftigungssicherung in der Krise. Hrsg. v. Reinhard Resch. Wien: ÖGB-Verl., 2009. 216 S., € 20,50 [D], 21,- [A], sFr 34,80

 

ISBN 978-3-7035-1405-0

 

Unternehmenskrise. Krisen erkennen. Krisen analysieren. Krisen bewältigen. Hauser, Robert ... (Mitarb.). Wien: ÖGB-Verl., 2009. 298 S., € 19,90 [D], 19,95 [A], sFr 35,90 ; ISBN 978-3-7035-1385-5