Verwestlichung der Welt: Imperialismus, Entterritorialisierung und Entlokalisierung der Ökonomie

Ausgabe: 1994 | 1

Die Verwestlichung der Welt -- Der Westen ist nicht mehr geographisch oder historisch zu verorten, er wird auch von keinem System gemeinsamer Überzeugungen getragen, allein die drei Säulen der Moderne, die Wissenschaft als "neue Gottheit", die Technik als "seelenlose Maschine" und die Ökonomie des Industrialismus als "unwiderstehlicher Drang zum Produzieren" geben ihm seine Kontur. Nachhaltiger als die kolonialistische Ausbeutung habe sich das Bild dieses "Fortschritts", das alles Nicht-Westliche als "rückständig" und "unterentwickelt" abtut, weltweit in den Köpfen der Menschen festgesetzt.

Pointiert und reich an Beispielen beschreibt der französische Autor den "kulturellen Imperialismus" des Westens und dessen Folgen für die Dritte Welt: Zerstörung sozialer Strukturen und autochtonen Wirtschaftens, Urbanisierung und Entwurzelung, Verlust der eigenen Identität und "Entzauberung" der Welt durch die "Verinnerlichung des Blicks des Anderen".

"Der Zugang zur Moderne bedeutete das Ende der Kulturen und den Sieg der Zivilisation", ist Latouche überzeugt, doch diese zeitige mehr Verlierer als Gewinner. Kleinen, reichen Oberschichten in den Metropolen des Südens steht das große Heer der Ausgegrenzten und Habenichtse gegenüber.

Die Grenzen oder gar das Scheitern der Verwestlichung der Welt sieht der Autor folgerichtig im ökonomischen Misserfolg, also in der nicht gelungenen "Verwestlichung der Lebensstandards". Die Hoffnung setzt er in Gegen-Kulturen, in die Reorganisierung autonomer Strukturen, in die Selbsthilfe, also in das, was von westlichen Ökonomen als "informeller Sektor" bezeichnet wird. Westliche Technik werde hier nicht grundsätzlich negiert, entscheidend sei aber die Einbindung der Ökonomie in die Sozialität der Menschen.

Latouche, der aufgrund der “Entterritorialisierung" und "Entlokalisierung" der Ökonomie auch bei uns derartige Gegenbewegungen ausmacht, sieht die Chancen dieser neuen Kulturen keineswegs blauäugig: "Diejenigen, die von den materiellen und symbolischen Vorteilen der ,Modernisierung' ausgeschlossen sind und deren Zahl ständig zunimmt, können und müssen neue Lösungen finden, wenn sie in ihrer Eigenart und als Teil der Menschheit überleben wollen. "Eine sensible Darstellung, die nicht nur die Imperialismus-Debatte um die Dimension kultureller Hegemonie und Gewalt bereichert, sondern zugleich das "Programm der westlichen Moderne" einer tiefgreifenden und grundsätzlichen Kritik unterzieht.

IH.

Latouche, Serge: Die Verwestlichung der Welt. Essay über die Bedeutung, den Fortgang und die Grenzen der Zivilisation. Frankfurt/M.: dipa-Verl., 1994. 160S., DM 28,-/sFr25,80/öS219