Steffen Mau

Ungleich vereint

Ausgabe: 2025 | 2
Ungleich vereint

Steffen Mau  untersucht die anhaltenden Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Er argumentiert gegen die Vorstellung einer vollständigen Angleichung und postuliert stattdessen eine Persistenzannahme, die besagt, dass der Osten aufgrund einer Reihe von Faktoren dauerhaft anders bleiben wird und spricht von einer sich verstetigenden Differenz, die zur „Ossifikation“ führt. Obwohl sich die ökonomische Lage angeglichen, die Wanderungsbewegung von West nach Ost umgekehrt hat, Arbeitslosenzahlen ähnlich sind und Tech-Investitionen im Osten zunehmen, bestehen weiterhin soziokulturelle Unterschiede, etwa in Bereichen wie Forschung und Entwicklung, Firmensitzen großer Unternehmen, Anteil junger Menschen, Parteimitgliedschaften und Immobilienwerten. Ein deutlicher Unterschied besteht im Vermögen, das im Westen doppelt so hoch ist wie im Osten. Nur zwei Prozent der Erbschaftssteuer werden im Osten generiert, was auf eine dauerhafte Vermögensungleichheit hindeutet. Biographieunterbrechungen haben im Osten den sozialen Aufstieg erschwert, was zu einem geringeren Anteil an Spitzenpositionen führt. Die Demographie spielt ebenfalls eine wichtige Rolle: Besonders junge, gut qualifizierte Menschen wanderten ab.  Soziokulturell zeigt sich ein Eigensinn der Ostdeutschen, der sich in der positiveren Wahrnehmung der DDR, einem besonderen Umbruchsgedächtnis, in den Geschlechterrollen, der Migrationserfahrung und der Wahrnehmung Russlands manifestiert. Die Gründe für diese Entwicklung liegen in der Pulverisierung des alten ideologischen Überbaus der DDR, die zu einer ideellen Orientierungslosigkeit führte. Gleichzeitig wurde im Vereinigungsprozess die nationale Gemeinschaft forciert, was rechte Tendenzen begünstigte. Kirchen, Gewerkschaften, Vereine und soziale Bewegungen sind im Osten schwächer. Die Demokratie im Osten leidet unter Allmählichkeitsschäden, die sich in der Fragmentierung des Parteienspektrums, der Stärke radikaler Parteien und dem Niedergang der demokratischen Parteien zeigen. „Aus den Besonderheiten ergibt sich, dass der politische Raum anders gedacht und gestaltet werden muss. Womöglich ist Ostdeutschland sogar dazu prädestiniert, ein Labor der Partizipation zu werden, nicht nur eine Werkstatt des Nachbauens nach Schema F bzw. West“ (S. 129). Mau plädiert daher dafür, mit neuen Formen der Demokratie im Osten zu experimentieren, z. B. durch Bürger:innenräte.