Über Toleranz. Von der Zivilisierung der Differenz

Ausgabe: 1998 | 3

Wie können unterschiedliche ethnische, kulturelle und religiöse Gruppen in einem Staatswesen friedlich koexistieren? Welche Rahmenbedingungen kann oder muß die staatliche Autorität dafür schaffen? Wo muß die Toleranz im Interesse des Allgemeinwohls ihre Grenzen haben? Der in Princeton (USA) lehrende Soziologe M. Walzer diskutiert Fragen, die auch für Europäer hoch aktuell sind, man denke nur an Exjugoslawien, Nordirland oder die wachsende Ausländerfeindlichkeit in Österreich und Deutschland.

Walzer entwirft Modelle politisch-institutioneller Systeme, in denen Toleranz auf unterschiedliche Weise verwirklicht wird. In multinationalen Imperien, zu denen etwa auch das Habsburgerreich zählte, wird die Toleranz zwischen den einzelnen Gruppen durch die Autorität einer Zentralbehörde garantiert. Für Walzer war dieses System, wiewohl undemokratisch und illiberal, in der Geschichte dennoch die erfolgreichste und dauerhafteste Form, ein relativ friedliches Zusammenleben zwischen stark differierenden Gruppen zu garantieren. 

Problematischer erscheint der Umgang mit Toleranz in den Nationalstaaten, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelt haben, denn die dominante Gruppe neigt immer wieder dazu, die Interessen der Minderheiten zu mißachten. Andererseits hat der Nationalstaat den Staatsbürger im modernen Sinn hervorgebracht das mündige Individuum mit gleichen Rechten und Pflichten, das nicht primär als Angehöriger einer bestimmten Gruppe definiert ist. Der Assimilationsdruck, der auf die Bürger ausgeübt wird, hat demnach positive und negative Aspekte. Zwar artet er oft in Unduldsamkeit gegenüber den kulturellen Eigenheiten mancher Gruppen aus, doch zugleich verhilft er den Einzelnen dazu, sich von den mitunter sehr rigiden Normen und einengenden Traditionen eben dieser Gruppen zu befreien und in der wesentlich liberaleren und toleranteren Mehrheit aufzugehen. Weiters stellt Walzer die Einwanderungsgesellschaft, die Konföderation sowie die internationale Gemeinschaft mit ihren typischen Toleranzstrategien dar. Moderne Staaten entsprechen freilich kaum je einem der klassischen Modelle. An konkreten Beispielen aus Frankreich, Israel, Kanada und der Europäischen Gemeinschaft wird gezeigt, wie die Koexistenz verschiedener Gruppen funktionieren oder mißlingen kann.

Walzer hat ein engagiertes Plädoyer für gelebte Toleranz und gegen die Einebnung der Differenz verfasst; dessen Lesbarkeit nur durch die stellenweise arg holprige Übersetzung beeinträchtigt wird.

R.L.

Michael Walzer: Über Toleranz. Von der Zivilisierung der Differenz. Hamburg: Rotbuch. 1998. 169 S. (Rotbuch Rotationen) DM/sFr 28, - / öS 204,-