Angelika Vetter, Uwe Remer-Bollow

Bürger und Beteiligung in der Demokratie

Ausgabe: 2017 | 4
Bürger und Beteiligung in der Demokratie

Angelika Vetter und Uwe Remer-Bollow, SozialwissenschaftlerInnen an der Universität Stuttgart, fragen nach dem Stellenwert von Beteiligung und ihrer Bedeutung für eine vitale Demokratie. Sie thematisieren unter anderem die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen und empirische Fakten zu den verschiedenen Formen und Möglichkeiten der Beteiligung und ihre jeweilige strukturelle Einbettung. Die AutorInnen vermitteln mit diesem Lehrbuch demokratietheoretisches Grundlagenwissen und liefern aktuelle Ergebnisse aus der Partizipationsforschung.

Beteiligung definieren die AutorInnen als eine Form bürgerschaftlichen Engagements, welches sich in politische und soziale Beteiligung unterteilen lässt: von der demokratischen Wahl, Bürgerentscheid, dem Boykott bestimmter Konsumgüter bis hin zu Urban Gardening-Projekten. Partizipation auf subnationaler Ebene könnte eine Antwort auf die gesellschaftlichen und demokratiepolitischen Folgen von Postmodernität und Globalisierung sein, denn sie wird als „Möglichkeit gesehen, trotz der zunehmenden Individualisierungs- und Differenzierungsprozesse weiterhin zu gemeinsamen Problemlösungen zu gelangen“ (S. 4). Betrachtet man Partizipation also aus der europäischen oder sogar globalen Perspektive, so zeigt sich ihr hoher Stellenwert: Mehr Beteiligung könnte „Einflussverluste der Bürgerinnen und Bürger auf politische Entscheidungen höherer Systemebenen kompensieren und ihnen ein Mindestmaß an Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Politik sichern“ (S. 4). Die frühzeitige Einbeziehung von BürgerInnen dient demnach der Vorbeugung  postdemokratischer Zustände und der Schaffung von Akzeptanz und Legitimität für bestimmte Entscheidungen mit dem Ziel der „Anerkennung des repräsentativ-demokratischen Ordnungsmodells als solches“ (S. 5).

Teil 1 des Buches vermittelt Grundlagenwissen zur Demokratietheorie und beschäftigt sich in Folge mit dem Stellenwert von Beteiligung in der Demokratie jenseits demokratischer Wahlen. Die AutorInnen gehen der Frage nach, „welche Merkmale aus der Sicht der Politikwissenschaft die Qualität einer Demokratie bestimmen“ (S. 15). Ein einheitliches Demokratiemodell würde es nicht geben; vielmehr unterschieden sich die Demokratien innerhalb Europas maßgeblich in ihrer Qualität. Beteiligung und Demokratie befinden sich in einem reziproken Verhältnis und der Stellenwert von Bürgerbeteiligung könnte ein Kriterium sein, um die Qualität von Demokratien zu beurteilen.

Partizipationsforschung steht im Zentrum des zweiten Teils, in dem diverse Formen von Beteiligung betrachtet, analysiert und strukturell zugeordnet werden. Unterschieden wird etwa zwischen Beteiligung im Vorfeld politischer Entscheidungen und Beteiligung als politischer Wahl. Auf der ersten Ebene zu veroten sei etwa Soziales Engagement, welches „für den Zusammenhalt der Gesellschaft und damit auch für das politische System“ (S. 101) wichtig ist, jedoch mit einer Distanz zur Politik stattfindet. Näher an der etablierter Politik angesiedelt sind hingegen  die mitgestaltenden und kooperativen Formen der Bürgerbeteiligung, die von der jeweiligen Verwaltung, vorwiegend auf lokaler Ebene, organisiert werden. Diese Ebene der Partizipation ist informell; BürgerInnen können hier Vorschläge machen und Ideen einbringen, dazu zählen dialogorientierte Formate wie z. B. Bürgerversammlungen, Zukunftswerkstätten, Planungszellen oder Runde Tische. Der BürgerInnenprotest ist eine unkonventionelle Beteiligungsform und hat in den letzten Jahren – die AutorInnen beziehen sich auf Zahlen aus Deutschland – wieder zugenommen. Demonstrationen würden einen „etablierten legitimen Ausdruck politischer Anliegen darstellen, und weniger Ausdruck eines antistaatlichen Radikalismus“ (S. 166).

Teil drei des Buches beschäftigt sich mit Beteiligungsformen, bei denen BürgerInnen unmittelbar in Entscheidungen mit einbezogen werden. So stellen Wahlen „das zentrale Kennzeichen repräsentativer Demokratien“ (S. 171) dar und sind auch das Hauptthema des dritten Teiles. Hier wird auf Ursachen und Auswirkungen des Nichtwählens besonderes Augenmerk gelegt. Das Konzept der direkten Demokratie als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie wird in diesem Kontext ebenfalls thematisiert. Direktdemokratische Beteiligungsformen sollten – so die Empfehlung – weiter diskutiert werden, jedoch „sollten in jedem Fall die Licht- und Schattenseiten entsprechender Reformen bedacht werden“ (S. 278), da sie die Struktur des politischen Prozesses verändern würden.

Zum Abschluss diskutieren die AutorInnen die Beteiligungsqualität in Zeiten der Europäisierung und die damit verbundene Abnahme des Einflusses durch den/die BürgerIn auf politische Entscheidungen. Hier bedürfe es neuer Modelle der Implementierung auf nationalstaatlicher Ebene. Zur Diskussion etwa steht die Möglichkeit der Integration dialogorientierter Beteiligungsformate in das bestehende repräsentative Demokratiemodell. Denn das Ziel sollte sein, das „Handeln der Repräsentanten (Agenten) in eine möglichst große Übereinstimmung mit den Interessen der Repräsentierten (Prinzipal)“ (S. 305) zu bringen.

Ein fundiertes und umfangreiches Lehrbuch für alle, die sich zum Thema Partizipation informieren möchten.