Barbara Nothegger erzählt mit „Sieben Stock Dorf“ die Geschichte eines alternativen Wohnprojekts in Wien aus persönlicher Erfahrung; sie bietet damit eine Fülle kritischer und brauchbarer Informationen. Großgeworden ist die Autorin in einem oberösterreichischen Dorf und in einem elterlichen Betrieb. Trotz der wenigen Zeit, die ihre Eltern für sie hatten, erfuhr sie als Kind Freiheit und gleichzeitig Geborgenheit durch die Dorfgemeinschaft. Als ihr erstes Kind unterwegs war, träumte sie von diesem dörflichen Leben mit Spiel- und Freizeitmöglichkeiten, abseits vom städtischen Verkehr. Die urbane Altbauwohnung im Zentrum Wiens war von nun an nicht mehr der ideale Lebensort, doch den Plan aufs Land zu ziehen, gaben sie und ihr Partner bald auf. Zufällig erfuhr die Wirtschafts- und Immobilienjournalistin von einem geplanten Wohnprojekt am Gelände des aufgelassenen Wiener Nordbahnhofes. Dieses Projekt würde – so stellte sie fest – ihren Vorstellungen entsprechen: ein bewusstes Leben im Kollektiv, nachhaltig, ökologisch und ressourcenschonend, mit viel Platz für Kinder. Seit 2013 lebt sie nun mit ihrer Familie im „Wohnprojekt Wien“ im zweiten Bezirk, das ein Vorzeigeprojekt für kooperatives Wohnen im deutschsprachigen Raum darstellt.
Das mehrfach preisgekrönte Wohnprojekt wurde unter der Federführung eines Architekten geplant, der die rund 100 Bewohner und Bewohnerinnen von Anfang an in die Planung mit einbezogen hat. Die Wohnungen stehen im Eigentum des „Vereins für nachhaltiges Leben“, dem alle MieterInnen angehören. Auf diese Weise will man garantieren, dass die Wohnungen dauerhaft fern vom freien Immobilienmarkt gehalten werden. Die Quadratmeterpreise sind moderat, dafür muss ein Haushalt jeweils 11 Stunden pro Monat für das kollektive Zusammenleben beitragen, was die Betriebskosten deutlich verringert. Die Wohnungen selbst sind nicht groß, doch den Bedürfnissen der Bewohner-Innen angepasst. Es gibt zahlreiche Gemeinschaftsräume und -flächen, ein Carsharingsystem und gemeinsam nutzbare Lastenräder. Bereits in der Planungsphase war die Gemeinschaft soziokratisch organisiert, daher gibt es auch klare Zuständigkeiten. Entscheidungen werden meist nicht in der Gesamtgruppe, sondern in speziellen Arbeitskreisen besprochen, die LeiterInnen der jeweiligen Arbeitskreise bringen das Besprochene in den Leitungskreis, wo die Entscheidungen letzt-endlich getroffen werden.
„Sieben Stock Dorf“ bietet viel Hintergrundinformation über die Entstehung des Wohnprojektes Wien. Die Autorin stellt Vergleiche zu anderen, ähnlichen Wohnprojekten her, beschreibt die Schwierigkeiten, die es in der Planungs-, Bau und ersten Wohnphase gegeben hat, und zwar in planerischer, technischer, finanzieller und zwischenmenschlicher Hinsicht. Sie schildert unterhaltsam und humorvoll ihre Euphorie, aber auch persönliche Herausforderungen, ihre Zweifel und Ängste. Nothegger romantisiert nicht, sie hebt Vor- und Nachteile hervor, thematisiert das Risiko einer „ökologischen Diktatur“ und die Sonnen- und Schattenseiten des Wohnprojektes als „kuscheligem Rückzugsort der Mittelschicht“ (S. 153). Auch zu anderen Wohnprojekten hat sie recherchiert und liefert somit einen guten Einblick und sympathischen Wegweiser in die Welt alternativer Wohnformen. Sehr lesenswert!