Reinhard Loske, ehemals Mitarbeiter des Wuppertal Instituts und Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Witten/Herdicke, Abgeordneter zum Deutschen Bundestag und Umweltsenator von Bremen, kritisiert seit vielen Jahren die Wachstumsillusion. In Bezug auf den Kapitalismus ist Loske diplomatisch, wie er in seinem neuen Buch „Ökonomie(n) der Zukunft“ darlegt: Darüber zu streiten, ob eine Neuorientierung der Wirtschaft das „Ende des Kapitalismus“ oder doch eher das „Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen“ zur Folge hätte, und „wie sie sich auf das Mischungsverhältnis von kooperativen und kompetitiven Elementen, von gesellschaftlicher Selbstorganisation, staatlichem Handeln und Marktbeziehungen auswirkt“(S. 36), sei in jedem Fall sinnvoll und lohnenswert. Entscheidend sei aber, sich der Bedeutung der Wirtschaft im Transformationsprozess bewusst zu sein. „Der Veränderungsbedarf in der Wirtschaft sowie ihre Veränderungsbereitschaft, Veränderungsfähigkeit und Veränderungskraft“ seien Herausforderungen, die im Angesicht der Großkrisen unserer Zeit „ganz oben auf der gesellschaftlichen und politischen Tagesordnung stehen müssen“ (S. 20). Unser Wohlstand sei in großen Teilen trügerisch und die betriebswirtschaftliche Rechnungslegung der Unternehmen führe in die Irre: „Als wirtschaftlich erfolgreich gilt noch immer das Unternehmen, das Renditen maximiert und Kosten minimiert oder externalisiert, also auf die Gesellschaft abwälzt“ (S. 21). Änderungen hält Loske auch in den öffentlichen Debatten für notwendig. Wer vor Zwang und Freiheitseinschränkungen durch eine Politik für Nachhaltigkeit warne, übersehe, dass es die Krisen sein werden, die uns unserer Freiheiten berauben werden: „Wo Politik nur noch im reaktiven Modus auf eskalierende menschengemachte Umweltprobleme reagieren kann, tendiert die Freiheit bei der Wahl der Mittel gegen null“ (S. 13).
Recht auf und Pflicht zur Nachhaltigkeit
Loskes Vorschläge sind durchwegs pragmatisch: Recht auf und Pflicht zur Nachhaltigkeit für alle durch Verankerung in der Verfassung – „Der Staat muss zum Nachhaltigkeitsstaat werden“ (S. 54) – sowie ein Klima- und Nachhaltigkeitscheck für alle Gesetze und Maßnahmen; Überwindung falscher Widerstände gegen Nachhaltigkeit in Unternehmen, stattdessen breite Verankerung in den Unternehmenskulturen; „selektive Strategien der Re-Regionalisierung“ (S. 55) aus Gründen der Resilienzförderung, der Kreislaufführung von Stoffströmen und der Versorgungssicherheit; mehr Ehrlichkeit und Transparenz in der Nachhaltigkeitsberichterstattung – „Wer nicht nachhaltig wirtschaftet, muss als Zerstörer und Verlierer erkennbar sein“ (S. 58) –; ein kooperatives Verhältnis von Staat und Wirtschaft, das Konflikte nicht ausspart (Überwindung der Polarität); Förderung der Commons jenseits von Staat und Markt – „Pluralität und Diversität sind Treiberinnen nachhaltigen Wirtschaftens“ (S. 61) –; mehr Pluralität auch in der Ökonomik und an Wirtschaftsuniversitäten; mehr Realwirtschaft unter Zurückdrängung des Finanzmarktsektors – „Banken, Versicherungen und institutionelle Anleger sollte sich darüber im Klaren sein, dass ein Engagement in nicht-nachhaltigen und vor allem fossilen Feldern ihre Glaubwürdigkeit schwer beeinträchtigt“ (S. 65) –; schließlich Verringerung der Einkommens- und Vermögensunterschiede, da die Reduzierung von Überkonsum praktischer Klimaschutz sei und der Staat mehr Ressourcen brauche. „Weil die Finanzierungsbedarfe für öffentliche Güter wie soziales Wohnen, gerechte Bildung, öffentliche Räume, Transportsysteme, öffentliche Gesundheitseinrichtungen und grüne Infrastrukturen erheblich sind, zugleich aber viel ‚leistungslose Einkommen‘ unproduktiv herumliegen oder anlagesuchend und finanzmarktdestabilisierend um den Globus vagabundieren“(S. 67), stelle sich gerade aus Nachhaltigkeitsperspektive die Frage nach gerechten Steuern. Die Alternative zu höheren Steuern für sehr Einkommensstarke, die permanente Erhöhung der Staatsverschuldung sogar für konsumtive Zwecke sei alles andere als nachhaltig.
Veränderung von Normen und Strukturen
Einschätzung: Loske setzt stark auf die Veränderung von Normen, denen die strukturellen Veränderungen folgen sollen. Wirtschaft und Staat werden nicht als Gegenpole, sondern als ineinandergreifende Systeme verstanden. Politik habe aber die Aufgabe, die Rahmenbedingungen vorzugeben. Die in aller Knappheit und Präzision vorgetragenen Vorschläge sind durchaus dazu angetan, in Politik und Unternehmen Gehör zu finden.