Gernot Wagner

Stadt, Land, Klima

Ausgabe: 2021 | 4
Stadt, Land, Klima

Gernot Wagner ist österreichischer Klimaökonom und lebt mit seiner vierköpfigen Familie auf 70 Quadratmeter in einer Wohnung mitten in New York, ohne eigenes Auto. Warum ist das wichtig? In seinem Buch Stadt. Land. Klima untermauert der Autor die zentrale Aussage „Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten“ (Untertitel) mit seinen persönlichen Lebenserfahrungen. Er lebe mit seiner Frau seit zwanzig Jahren in den Vereinigten Staaten, habe aber noch nie im tatsächlichen „Amerika“ gewohnt, dem der Suburbs und Shopping Malls, schreibt er im Vorwort. Und weiter: „Führerschein habe ich keinen, so wie die Hälfte aller New Yorker. Über zwei Drittel besitzen hier auch kein Auto.“ (S. 10) Beruflich beschäftigt sich Wagner mit Klimazahlen, den „relativen Kosten von Klimaschmutz und Klimaschutz, mit Zahlen über Risiken und Ungewissheiten“ (S. 9). Und er frage sich, welche Entscheidungen zu treffen sind, „die uns ein gutes Leben ermöglichen und zugleich unseren Planeten schützen“ (ebd.). Dies sei eben das urbane Leben mit hoher Bewohnerdichte, kurzen Wegen und allem, was man zum Leben brauche, meint Wagner und kontrastiert dieses mit den die heutigen Großstädte bestimmenden Suburbs. Die Mittelschichten auf der Suche nach mehr Platz und leistbarem Wohnraum zieht es in die Vorstädte und -orte: „Der Weg vom Land in die Stadt in die Suburbs scheint zum natürlichen Lauf der Dinge geworden zu sein.“ (S. 13)

Suburbanisierung als Trend

Ein Drittel der Amerikaner:innen wohnt, so Wagner weiter, in mehr oder weniger dicht bebauten Städten. Etwa 50 Prozent lebten aber mittlerweile in Suburbia. Dieser Trend sei nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt, der Traum vom Einfamilienhaus werde zum globalen Phänomen: „Suburbanisierung, Speckgürtel und Zersiedlung gibt es mittlerweile auf der ganzen Welt.“ (S. 13) Die Politik fördere diesen Trend mit Steueranreizen für Bausparverträge, Pendler- oder Kilometerpauschalen und entsprechenden Infrastrukturen, etwa Supermärkten und Einkaufszentren am Stadtrand. Der Vororttraum werde zum „Natur- und Klimakiller“ (S. 14). Klimaschmutz entstehe zwar überall, in Suburbs entstünden jedoch doppelt so viele CO2-Emissionen wie in Städten und direkt am Land (die Landbevölkerung sei ärmer und habe daher einen geringeren Öko-Fußabdruck, was wohl für die USA, weniger aber für Europa zutrifft, wo die Wohlstandsunterschiede nicht zwischen Stadt- und Landbevölkerung verlaufen, übrigens auch in den USA nicht allein!). Die Stadt selbst sei zwar noch kein Garant für ein CO2-armes Leben, so Wagner: „Reichtum und Dichte eröffnen allerdings echte Möglichkeiten“ (S. 15). Hinsichtlich Mobilität leuchtet dies unmittelbar ein. Wagner konstatiert aber auch, dass das urbane Leben stärker dienstleistungsorientiert und allein aus Platzgründen weniger auf die Anschaffung möglichst vieler Güter ausgerichtet sei. Er meint hier nicht die schicken Minimalismusanhänger:innen im Designer-Mikrohaus, die nur eine Nische ausmachten, sondern die einfachen Familien, die zu anderen Prioritäten gezwungen seien. „Effizienz“ sei dabei oft nur der Versuch, einen schöneren Begriff für „Kompromiss“ zu finden (S. 18).

Was ist zu tun?

Was ist zu tun? Wagner plädiert dafür, erst gar nicht aus der Stadt wegzuziehen, um Lock-in-Effekten (z. B. hohe Mobilitätskosten) zu entgehen. Wichtig sei eine detaillierte Klimabuchhaltung, die Treibhausemissionen nicht der Produktion, sondern dem Konsum von Gütern zurechnet. Städte hätten ein großes Potenzial für CO2-Reduktion, nicht nur im Bereich des Verkehrs, sondern auch im Bereich der Bauten (Energieeffizienz, Erneuerbare Energie). Wagner führt ein weiteres Argument ins Treffen: Städte seien tendenziell liberaler, progressiver, sozialer und globaler ausgerichtet, was für Klimaschutzpolitik förderlich sei. Wahlergebnisse in Städten würden Grünparteien Stimmen bringen. Und die Tatsache, dass das Leben in der Stadt auch bereichernd sei – und daher reicher mache, sei ein zusätzlicher Vorteil: „Es geht schließlich darum, CO2-ärmer – und nicht insgesamt – ärmer zu leben.“ (S. 44)

Gernot Wagners Plädoyer für ein nachhaltiges urbanes Leben ist beeindruckend und nachvollziehbar – eigene Kapitel zu Essen, Wohnen und Mobilität untermauern dies –, genügt für sich genommen aber nicht. Das weiß auch der Autor, und schließt darum Abschnitte zum Nachhaltigkeitsdiskurs an. Moral und individuelle Verhaltensänderung werden  nicht reichen, könnten sogar kontraproduktiv sein. Der Fußabdruckrechner sei früh vom BP-Konzern propagiert worden, weil dieser von politischen Maßnahmen ablenke, zitiert Wagner eine aktuelle Studie aus 2020 (S. 144). Wirksame Klimapolitik erfordere zuallererst politische Regulierungen. Ein in sich schlüssiges Buch, auch wenn Probleme wie hohe Mietkosten in den Städten einer eigenen Betrachtung bedürfen.