Liam Young

Planet City

Ausgabe: 2022 | 2
Planet City

Liam Young: Planet City

Liam Young – Herausgeber des Buches – ist Zukunftsforscher, Architekt, Filmproduzent, Unterhalter, Think Tank-Begründer, Dozent und Lebensgeber für den Masterstudiengang „Fiction and Entertainment“ an der SCI-Arc in Kalifornien. Er selbst bezeichnet sich als spekulativer Architekt und hat seine Arbeit zuletzt vor allem auf spekulative Zukünfte in urbanen Lebensräumen gerichtet. Wie sich schon erahnen lässt, bildet Young Brücken zwischen Universen, die bisher eher unter sich geblieben sind. Er verbindet Medien, Unterhaltung und Architektur und schafft es damit, seine Themen raus aus der Architektur-Bubble in die Massenmedien zu befördern. Denn warum auch nicht alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um den eigenen Teil zur Lösung einer erkannten Problematik beizutragen?

Klimakrise als Thema

Wie in inzwischen vielen Sach- und Fachbüchern kommt man auch in Planet City nicht um die Klimakrise herum. Im Gegenteil: Sie und ihre anthropogene Erzeugung sind Zentrum des Buches – und ja, ich habe kurz überlegt, ob ich es so simpel Buch nennen kann. Denn öffnet man es, ist sofort klar, dass hier mit einem anderen Leseerlebnis aufgewartet wird. Dem Inhaltsverzeichnis nach ist es ein Sammelband mit verschiedenen Perspektiven auf die spekulative Zukunft, in welcher sich die Menschen allesamt in eine riesige Stadt zurückgezogen haben. Allein das schon ist reizvoll und im ersten Gedanken auch irgendwie abstoßend. Blättert man weiter stößt man jedoch zusätzlich schnell auf viele Seiten bunt illustrierter Ausschnitte dieser fiktiven Stadt – warme Farben, viel Beton, tribale Einflüsse, ein bisschen Cyberpunk und kunstvoll inszenierte Menschen. Spätestens hier ist klar, dass Young eine Erlebnisreise schaffen will, die provoziert, herausfordert und neue Perspektiven schaffen soll. Und dafür hat er sich viele Kolleg:innen ins Boot geholt. Sie greifen sich Teilaspekte von Planet City heraus und arbeiten sie auf: mal wissenschaftlich, mal explorativ, mal erzählerisch fiktiv oder gar poetisch.

Eine nicht dystopische Aussicht

Young schafft hier etwas, was wir schon seit langem nicht mehr gelesen haben: Eine Aussicht in die Zukunft, die nicht dystopisch ist. Wie er selbst einmal feststellte, ist das auch nicht mehr so reizvoll, wenn man längst in einer Dystopie lebt: „Today we measure our age in apocalypses. The dystopias of science fiction that previously read as speculative cautionary tales are now the stage sets of the everyday as we live out our lives in a disaster film playing in real-time.“(S. 36)

Die Welt geht vor die Hunde und wir können jetzt schon dabei zusehen: Fluten, Waldbrände, Kriege, Hungernöte, Massenflucht und Ungleichheit sind nur einige Aufzählungen von einer sehr langen Liste der Konsequenzen der Klimakrise. Was also wäre, wenn die Menschheit es tatsächlich begriffen hätte und sich an einen Ort zurückgezogen hätte, um den Rest unserer Erde zu schonen und sich erholen zu lassen? Wie würde so eine Stadt aussehen, wie wäre sie entstanden und warum, wie würden die Menschen dort leben und zum Beispiel auch Urlaub machen, welchen Gesetzen würde sie folgen?

Mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zieht sich hier bei der Mehrheit der Leser:innen die Stirn kraus. Denn denkt man an Mega-Cities, so erscheint das Leben dort nicht eben als schön, nachhaltig und lebenswert. Heutige Megastädte werden als laut, gefährlich, eng, schmutzig und ungerecht wahrgenommen. Somit erscheint auch die Tatsache, dass die 10 Billionen Menschen der 2050er Jahre auf 0,02 Prozent der Erdoberfläche passen würden, nicht sehr erleichternd.

Young hat jedoch nicht vor, diese Stadt oder ähnliches zu bauen. Vielmehr ist diese Stadt für eine gesamte Menschheit ein Gedankenexperiment – eine Provokation – um aufzuzeigen, dass wir in erster Linie keine neuen Technologien brauchen, um die Klimakrise zu überstehen. Wir müssen uns lediglich als Mensch wieder in die natürliche Ordnung begeben und hier nur den Platz einnehmen, der für uns gedacht ist. Wir haben alle Technologien und Innovationen, die wir brauchen, um das Problem zu lösen. Am Ende scheitert es an der Kultur der heutigen Menschheit: „It stands as evidence that climate change is no longer a technological problem, but rather an ideological one, rooted in culture and politics“ (S. 40). Das Gedankenexperiment von Planet City kondensiert die Herausforderungen dieser Zeit auf die wesentlichen Punkte und macht es schwerer, sich anhand der heutigen Bedingungen hinauszuwinden.

Es ist also die Kultur, die es zu adressieren gilt. Denn in ihr haben wir uns von der Natur entfremdet und den einfachen Fakt verdrängen können, dass wir untrennbar miteinander verbunden sind. Indem die Menschheit sich an einem Ort zurückzieht, zahlt sie dem Tribut und das – wie Young und alle anderen Autor:innen zeigen konnten – nicht mal technologiefremd, unmodern oder einschränkend. Nur eben anders. In diesem Anders fällt es leichter, Bedingungen, Notwendigkeiten und klare Wahrheiten zu erkennen, anzunehmen und umzusetzen.

Ein thematisch diverses Buch

Homogen ist das Buch nicht. Weder in seiner Botschaft, den Illustrationen, Fotos noch in den Beiträgen. Denn während das Werk vor allem eines ist – nämlich fiktional – ist es eben auch tief realistisch. Es malt die Menschheit deshalb auch nicht rosa an, sondern erkennt an, dass auch in einer nicht dystopischen Zukunft Konflikte herrschen, man sich nicht einig wird und es immer schöne und nicht so schöne Seiten im Leben geben wird. Die Illustrationen geben diesen Eindruck ebenfalls wieder: es ist eine entstandene, zusammengewachsene Stadt. Kein hierarchisch geplantes Projekt, das hochgeometrisch und perfekt geplant daherkommt. Das Buch wird dem gerecht, indem es stilistisch, visuell wie auch bei der Auswahl der Autor:innen höchst divers bleibt. Ein spannendes Gedankenexperiment, dass hoffentlich viele Nachahmer:innen findet, um möglichst viele Menschen mit neuen Perspektiven zu infizieren und Zukunft wieder als einen kreativen, humorvollen, komplizierten und lebenswerten Möglichkeitsraum zu begreifen – nicht nur als dunklen Horizont in Anbetracht unserer vielen Fehler.