In „Sklaverei bilanzieren“ diskutiert die Historikerin Caitlin Rosenthal den Zusammenhang zwischen der Geschichte der Sklaverei und der Geschichte der Unternehmungsführung im 18. und 19. Jahrhundert. Sie fragt: „Wie fügt sich die Geschichte der amerikanischen Sklaverei in die Geschichte des amerikanischen Kapitalismus?“ (S. 19). Obwohl dieses Thema schon von vielen Forscher:innen vor ihr diskutiert wurde, schafft Rosenthals Ansatz neue Argumentationslinien. So nimmt sie etwa Sklavenhalter:innen als „versierte Manager“ (S. 20) wahr und beleuchtet sie als Geschäftspersonen, die im Interesse des Wirtschaftsgewinns handeln. Das Zusammendenken von Sklaverei und Management ist neu; die Sklaverei wird zum „Unternehmen“, zum profitorientierten Geschäftsmodell. Durch die Konzentration auf die wirtschaftliche Seite der Sklaverei, etwa die Buchhaltung, führt Rosenthal die Organisationsstrukturen vor, ohne moralisierende Ansprüche zu erheben. In dieser Eigenschaft lässt sie sich mit dem zeitgenössischen Kapitalismus vergleichen, zu dem die Autorin viele Parallelen sieht. Sie zeigt, dass der Grund, warum die Sklaverei „funktionierte“, weniger die omnipräsente willkürliche Gewalt war, sondern die wirtschaftlichen Strukturen, auf Basis deren sich Hierarchien etablierten und Menschen systematisch ausgebeutet wurden. Als Beispiel dafür nennt Rosenthal etwa die Kontrolle über das Leben der Arbeitenden, die – ohne Einverständnis – auch in die Freizeit oder das Privatleben massiv eingreifen kann. Menschen sollen schließlich stets „funktionieren“ und den Aufgaben oder Befehlen der Managenden oder eben der Sklavenhaltenden gerecht werden. Ihre Strukturen „versuchten, aus Männern, Frauen und Kindern gefertigte Maschinen zu bauen“ (S. 22).
Parallelen zwischen Kapitalismus und Sklaverei
Bei ihrer Analyse von zahlreichen Aufzeichnungen der Sklavenhaltenden über ihre Plantagen, ihre Sklav:innen, die Erträge sowie die Ausgaben zeichnet Rosenthal die Parallelen zwischen Kapitalismus und Sklaverei nach. Erstaunlich ist, wie viele Gemeinsamkeiten zwischen dem System der Sklaverei und dem System der vermeintlich modernen Unternehmungsführung zu finden sind. Als Beispiel nennt sie die Sichtbarkeit der Manager:innen (der Sklavenhalter:innen) bei gleichzeitiger Unsichtbarkeit der körperlichen Arbeit sowie der Biografien der Arbeitenden. Mit den Überlegungen, dass die Freiheit des Handels und des Marktes nicht zwingend mit der tatsächlichen Freiheit von Menschen zusammenhängt, schafft Rosenthal eine Verbindung zu aktuellen Diskursen der Geisteswissenschaft und dem zeitgenössischen Aktivismus über Menschenrechte.
Eine klare Leseempfehlung
„Sklaverei bilanzieren“ zeigt in fünf Kapiteln, die „sowohl einer chronologischen als auch einer thematischen Entwicklung“ (S. 26) folgen, Parallelen unterschiedlicher Systeme der Ausbeutung. Rosenthal regt zur Reflexion an, das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen und sich mit Produktionsbedingungen der erworbenen Produkte intensiver auseinanderzusetzen. Ihre Analyse ist genau und rechnet mit dem Kapitalismus der Gegenwart ab – ohne dabei pathetisch zu werden. Eine Leseempfehlung!