David Christian

Zukunft denken

Ausgabe: 2023 | 3
Zukunft denken

Big History ist ein Bereich der Geschichtswissenschaften, der Entwicklungen gerne in langfristige Zusammenhänge stellt. Diese gehen in der Regel über das Auftreten des Menschen hinaus. Man greift in die Zeit davor zurück. Und wie David Christian, Historiker der Oxford University es hier tut: Man blickt auch über die Zeit des Menschen hinaus. Denn ja, eine Zeit nach dem Menschen wird es natürlich geben.

Was ist Zeit?

Stopp: Wird es eine Zeit nach dem Menschen geben? Macht es Sinn, dann von „Zeit“ zu sprechen? Christian fängt sein Buch mit grundsätzlichen Fragen an, eben auch: Was ist eigentlich „Zeit“? Er stellt die beiden wichtigsten Konzepte vor. Mit dem griechischen Philosophen Heraklit kann man Zeit als Fluss begreifen: Die Zukunft unterscheidet sich von der Vergangenheit. Das ist sicherlich die vorherrschende Auffassung heute. Ihr entgegen steht eine Zeitauffassung, die Heraklits Zeitgenosse Parmenides vertrat: Veränderung ist eine Illusion, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft seien gleich. Christian versucht uns dieses Verständnis so näherzubringen: Zukunft und Vergangenheit sind Orte, die auf einer Landkarte unverändert eingezeichnet sind. Der Unterschied für uns ergibt sich nur daraus, wo wir gerade hinsehen (vgl. S. 26).

Dass die Zukunft schon bestimmt sei, ergibt sich auch aus einer deterministischen Weltsicht. Wenn alles Ursache und Wirkung hat, so könne theoretisch alles vorberechnet werden – das war lange Zeit eine Idee der Aufklärung. Anfang des 20. Jahrhunderts untergrub die Quantenmechanik diese Idee, als man zur Erkenntnis kam, dass Ereignisse auf der subatomaren Ebene prinzipiell nicht vorhersagbar seien.

Szenarien naher und ferner Zukunft

Bei Christian bekommt man nicht nur eine auf Verständlichkeit abzielende Einführung in grundsätzliche Fragen. Christian referiert auch die wichtigsten Zukunftsüberlegungen, die zur Zeit diskutiert werden. Auch hier bleibt er der „Big History“ treu und blickt zuerst einhundert Jahre nach vorne, dann tausend, dann eine Milliarde.

Die kommenden einhundert Jahre sieht er geprüft von den Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf das globale Klimasystem. „Die technologische Kreativität des Menschen hat schon immer Druck auf lokale Umwelten ausgeübt, doch bis in die Neuzeit hinein hat sich kaum jemand vorstellen können, dass menschliches Handeln in der Lage ist, Umwelten in planetarem Maßstab zu verändern“ (S. 257). Entscheidend sind auch andere, unintendierte Effekte auf das Ökosystem – genetische Manipulationen und die Reduzierung der Ökodiversität, die Entwicklungen der Waffentechnologien und deren möglicher Einsatz sowie die Zunahme sozialer Ungleichheit. „Die steigenden Trends der Ungleichheit können wie die des Klimawandels unvorhersehbare Kipppunkte überschreiten. Wer kann voraussagen, wann Ungleichheit einen revolutionären Umsturz auslösen wird?“ (S. 264).

In den nächsten eintausend Jahren wird die Erzeugung großer Mengen nachhaltiger Energie, die Nanotechnologie, die künstliche Intelligenz und die Robotik sowie die Veränderungen von Körpern durch biologische Technologien besondere Bedeutung haben. „In wenigen Jahrhunderten könnte es eine wachsende Vielfalt von Menschen, Cyborgs und transhumanen Geschöpfen geben, alle mit unterschiedlichen und speziellen Optimierungen. Für uns, die wir heute leben, wäre die Begegnung mit solchen Menschen eine eher unangenehme Erfahrung“ (S. 291).

In der Größenordnung von Hunderten Millionen Jahren werden hingegen geologische und astronomische Prozesse wirksam werden. Die Plattentektonik auf der Erde wird die Geographie des Planeten ändern. Die Sonne wird in etwa fünf Milliarden Jahren an das Ende ihrer (Fusions-)Energie kommen. Aber auch unsere Galaxie wird sich verändern. Im Laufe der Zeit wird die Gravitation benachbarte Galaxien zu sanften, aber grandiosen Kollisionen bringen. Die Milchstraße wird im Laufe von Hunderten Millionen Jahren langsam mit den beiden Galaxien der Magellanschen Wolke verschmelzen. Irgendwann wird aber die beschleunigte Expansion des Universums die entstehenden Supergalaxien zu verlorenen Inseln im All machen.

Bis dahin ist freilich noch Zeit und es wird an der Spezies „Mensch“ liegen, auf einige der zeitlich näher liegenden Fragen Antworten zu finden.