In unserer auf den Genuss des Augenblicks ausgerichteten Gegenwart ist unversehens die Frage nach der rechten Form des Sterbens in den Blick geraten. Mit dem Urteil des deutschen Verfassungsgerichtes vom Februar 2020, das die Sterbehilfe unter Straffreiheit stellt – ein ähnlicher Status ist wohl auch in Österreich mit Ende dieses Jahres zu erwarten – ist die Debatte um den assistierten Suizid zu einem hochaktuellen, kontrovers diskutierten Thema geworden.
Eine tiefgreifende Analyse zur Thematik der Sterbehilfe
Jean-Pierre Wils, Philosoph und Theologe an der Universität Nijmegen/NL, bietet mit diesem Buch eine gleichermaßen umfassende wie tiefgreifende Analyse des Themas Sterbehilfe, die von den einen als moralische Katastrophe, von den anderen als längst fälliger Schritt im Sinne der Selbstbestimmung betrachtet wird. Ist es denkbar, diese Positionen zu versöhnen? Nein, meint Wils, denn „da ist kein Problem vorhanden, das seiner Lösung harrt. Es ist nämlich der Tod, der das Problem des Sterbens bildet, und seine Faktizität ist unabänderlich.“ (S. 24). Und dennoch macht es Sinn, Positionen zu sichten, zu analysieren und Stellung zu beziehen. Das leistet der Autor auf hervorragende Weise.
Ein erster Blick auf Daten und Fakten macht deutlich, dass die Sterbehilfe in Westeuropa von der Bevölkerungsmehrheit (50-80 Prozent) befürwortet wird. Argumentiert wird dabei mit der Autonomie des Individuums, dem Recht auf Selbstbestimmung. Thomas Macho spricht von der zunehmenden „Verbreitung einer emanzipatorischen ‚Selbsttechnik‘“ (S. 27). Diese Entwicklung, so Wils, gibt zu denken, und er skizziert zunächst mit Verweis auf aktuelle SF-Literatur drei dystopische Szenarien, wie der Suizid in Zukunft aussehen könnte (S. 33ff.): Wird in einer gläsernen Welt, in der alle und alles einsehbar und kontrollierbar ist, (Selbst-)Tötung selbstverständlich sein?
Über die aktuelle Debatte
Nach einem historischen Abriss zum Verständnis der Selbsttötung (von den Stoikern bis zur Aufklärung) kommt die aktuelle Debatte in Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Staaten zur Sprache. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der Bedeutung und Reichweite persönlicher Autonomie. Sind soziale Tugenden wie Solidarität und Barmherzigkeit nur als Argumente für die Befürwortung des assistierten Suizids zu verstehen und nicht vielmehr auch als Auftrag, ihn zu begrenzen? Und: „Wie sicher können wir sein, dass sogenannte autonome Entscheidungen nicht das Ergebnis suggestiver Einflüsterung sind?“ (S. 105). In den Niederlanden steht seit 2020 ein Gesetzesvorschlag zur Diskussion, der „Menschen die älter als 75 Jahre alt sind, die Möglichkeit einräumt, Suizidhilfe im Fall eines ‚vollendeten Lebens‘ zu beanspruchen.“(S. 119) Entwicklungen, die nicht ohne Folgen bleiben werden. Wils Resümee: Die weitum geforderte Autonomie in Fragen des Sterbens steht auf tönernen Beinen und sollte nicht zur allgemeinen Praxis werden.