Warum hat der Hass einen so schlechten Ruf? Şeyda Kurt, Journalistin und Philosophin, geht dieser Frage nach. Kurt sucht in Texten aus verschiedenen geschichtlichen Perioden, wie über den Hass gedacht wurde. Und ihr fällt auf, dass der Hass nicht selten als eine Gefahr für die bestehende Ordnung – mit den bestehenden Hierarchien – gesehen wurde. Schon in der Antike war das so, auch in christlichen Texten gibt es Hinweise. Und auch heute wird uns erklärt, dass Hass hässlich macht. „Niemand will hässlich sein, demnach will niemand hassend sein. Niemand will verhasst sein, demnach will niemand hässlich sein“ (S. 78).
Kurt erinnert, dass die Verachtung einen vergleichsweise respektablen Ruf hat. Dieser entstehe aus einer scheinbar überlegenen Reaktion heraus, denn ihr ist ein Blick von oben herab eingeschrieben. Kurt ist somit einer sozialen Schieflage auf der Spur. Hass als widerständiges Gefühl von unten, werde tabuisiert. Aber ist es nicht gerecht, wenn zum Beispiel Sklav:innen hassten?
Welche Form des Hasses ist heute präsent?
Sie untersucht auch, welche Form des Hasses heute präsent ist. In Zeiten der Individualisierung richten wir den Hass auf uns selbst, wenn wir Ziele, wer immer sie vorgibt, nicht erreichen. „Und der Selbsthass garantiert, dass der Hass nur eine Richtung kennt: nach innen. Er wendet sich nicht an das unterdrückerische Außen“ (S. 33). Aber kann Hass als selbstermächtigende Antwort auf Unterdrückung dennoch funktionieren? Kurt sagt, dass es immer um bestimmte Fragen gehen müsse: Wer hasst? Und warum? Und in welchem Macht- und Herrschaftsverhältnis befinden sich die Hassenden?
Hass als Werkzeug, sich zu widersetzen: Nie sei es der Hass als solcher, der Menschen widerständig mache. „Ich kämpfe nicht, nur weil ich hasse. Der Hass ist kein nur. Er darf kein nur sein“ (S. 114) Der Widerstand erwachse aus existentiellen Erfahrungen. Hass erzeuge dann aber Intensität und Dauer, ist Antrieb und Überzeugung. Und so wird Hass bei Kurt (sie nennt ihn dann strategischen Hass) „ein Versprechen an eine Zukunft, die lebenswert ist“ (ebd.).
Wen hassen?
Die Autorin fragt, wen es zu hassen gelte. Solle man beispielsweise das Patriarchat oder die Profiteur:innen des Patriarchats hassen? System oder Menschen. Menschen zu hassen, müsse immer die letzte Option bleiben. Man solle Menschen nicht hassen, von denen man noch etwas erwarten könne. Und man solle von so vielen Menschen wie möglich noch etwas erwarten.
Der Abolitionismus wusste immer um das revolutionäre Potenzial menschlicher Beziehungen. „Jede Bewegung, jedes Zermalmen braucht politische Gefühle und politische Bezüge. Jede Revolution braucht Menschen, die füreinander verantwortlich zeichnen, jede Revolution braucht den Hass, aber auch die Fürsorge und Zärtlichkeit“ (S. 165)