Michael E. Mann

Moment der Entscheidung

Ausgabe: 2024 | 4
Moment der Entscheidung

„Wir leben auf einem Planeten, der nicht besser sein könnte. Er hat Wasser, eine sauerstoffreiche Atmosphäre und eine Ozonschicht, die das Leben vor schädlichen ultravioletten Strahlen schützt. Es ist weder zu kalt noch zu heiß, alles scheint genau richtig für das Leben“ (S. 5). Damit beginnt der renommierte Paläoklimatologe Michael E. Mann sein Buch über die 4,54 Milliarden Jahre währende Klimageschichte unseres Planeten. Er stellt die erdgeschichtlich sehr kurze Periode, seit der menschliches Leben auf der Erde möglich ist, dar. Ein Asteroideneinschlag vor 65 Millionen Jahren, der einen globalen Staubsturm auslöste, kühlte den Planeten ab, tötete die Dinosaurier und ebnete den Weg für unsere Vorfahren, die ersten Säugetiere. Vor mehr als zwei Millionen Jahren tauchten die ersten Hominiden auf, der moderne Mensch prägt die Erde erst seit 200.000 Jahren. Menschliche Zivilisationen gibt es gerade mal seit knapp 6.000 Jahren. Gedeihen konnten sie in einem weitgehend stabilen Klima, so Mann. „In dieser bemerkenswert stabilen Periode haben die Lebewesen von ausgleichenden Rückkoppelungen profitiert, die dazu beigetragen haben, das Klima in einer ‚goldenen Mitte‘ zu halten“ (S. 59). Die Ironie dabei: Was ursprünglich das Leben auf der Erde ermöglicht hat, die Abkühlung durch den globalen Staubsturm durch einen Asteroiden, machen wir nun zunichte: durch den anthropogenen Klimawandel. Wir kennen die Kurven über die globale Temperaturentwicklung – sie steigen ab der Mitte des 20. Jahrhunderts steil an. Die Ursachen sind ebenfalls bekannt: der Ausstoß von Treibhausgasen, vor allen durch die Verbrennung fossiler Energieträger. Mann pointiert: „Die Frage ist, wie lange es dauert, bis wir es zu weit getrieben haben“ (S. 59).

Das Bild des Hockeyschlägers

Michael E. Mann, Professor für Atmosphärenforschung an der Universität von Pennsylvania, beschreibt in faszinierender Genauigkeit die erdgeschichtliche Entwicklung unseres Planeten, um im letzten Teil des Buches auf die Gefahren einzugehen, die uns mit der anthropogenen Klimaerwärmung heute und in naher Zukunft drohen. Am Bild des Hockeyschlägers, das der Klimaforscher geprägt hat, wird der steile Anstieg der Temperaturen nach einer langen Periode eines relativ gleichmäßigen Klimas dargestellt: „Der Erwärmungsschub, den wir derzeit erleben, ist in der Geschichte der menschlichen Zivilisation beispiellos. Der Hockeyschläger vermittelt diese einfache Wahrheit auf unmissverständliche und unerbittliche Weise“ (S. 254). Der Autor erklärt uns an Phänomenen wie der atlantischen Umwälzbewegung (AMOC), dem südasiatischen Sommermonsun (SASM), aber auch dem die Klimakrisen verstärkenden El Niño-Effekt (ENSO), wie komplex das meteorologische Geschehen und wie riskant unser gegenwärtiges Treiben ist. Er geht dabei ausführlich auch auf Argumente der Klimaskeptiker:innen ein, die weiterhin von „natürlichen“ Schwankungen des Klimas sprechen. Aus erdgeschichtlichen Forschungen über frühere Klimakipppunkte können wir lernen, so Mann, „dass Störungen im System Ereignisketten auslösen können, die außer Kontrolle geraten und in Teufelskreisen anstelle von stabilisierenden Rückkoppelungen münden“ (S. 296).

Handlungsspielraum weiter vorhanden

Es gebe Dringlichkeit und Handlungsspielraum, die Bedrohung sei existenziell, aber was letztlich geschieht, liege noch immer weitgehend in unserer Hand. Mann bezieht sich hier auf das Bild des Asteroiden: „Die Dinosaurier haben den Aufprall der Himmelskörper nicht voraussehen können und wären ohnehin machtlos gewesen. Im Gegensatz dazu können wir die metaphorischen Asteroiden, die auf uns zurasen, durchaus sehen – und wir können etwas dagegen tun“ (S. 298). Die paläoklimatischen Erkenntnisse aus 4,5 Milliarden Jahren könnten uns helfen, zu klären, welche Zukunft wir noch gestalten können. Die Folgen der Klimaerwärmung seien bereits jetzt eklatant. Mann beziffert die aktuellen jährlichen Todesfälle durch Hitzestress und andere gefährliche Wetterextreme auf fünf Millionen; dazu kämen vier Millionen jährliche Todesfälle durch Luftverschmutzung, verursacht durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe. In Summe seien dies beinahe doppelt so viele Todesfälle wie bei der COVID-19-Pandemie. Steigender Hitzestress könne nicht mehr zur Gänze abgewendet, aber abgebremst werden, betont der Experte.

Fachspezifische Details mit einer zentralen Botschaft

Resümee: Das Buch, in das eine Vielzahl an Befunden aus der Erdgeschichte und ihrem wechselhaften Klima eingeflossen sind, ist all jenen zu empfehlen, die Ausdauer und genügend Interesse haben, sich auch auf fachspezifische Details einzulassen. Die zentrale Botschaft ist jedoch gut verständlich: Wir können aus der Klimageschichte für die Zukunft lernen. „Die Vergangenheit ist die Vorgeschichte“ – lautet in diesem Sinne das abschließende Kapitel. Michael E. Mann macht deutlich, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur markant, aber kein lineares Phänomen ist. Vielmehr gäbe es zahlreiche Wechselwirkungen – der Forscher spricht von Resonanzverhalten, man kann auch Aufschaukelungseffekte sowie Kipppunkte anführen –, etwa im Kontext der Eischilde an den Polen, die abschmelzen und zum Anstieg des Meeresspiegels führen. All dies macht die menschengemachte Klimaerwärmung neben den bereits jetzt unmittelbar spürbaren Schäden derart gefährlich, ja unheimlich. „Auch wenn die Zukunft sehr wohl vorhersehbar ist, so ist sie doch nicht vorherbestimmt“ – damit schließt der Autor sein aufrüttelndes Buch, das einmal mehr dazu aufruft, uns von der Verbrennung fossiler Energiequellen rasch zu verabschieden. Ein Verzeichnis der zahlreichen Abkürzungen, die im Text zwar erklärt werden, wäre hilfreich gewesen.