Wenn es um Fremde geht, kommen wir nicht ohne ausdrückliche Betonung von deren Zugehörigkeit zu einer „anderen Kultur“ aus. Fragen wir uns, was das sei, die „fremde“ oder die „eigene Kultur“, fällt uns zunächst die Sprache ein. „Aber Sprache allein kann es nicht sein“, meint der Wiener Psychoanalytiker Sama Maani. Wenn wir beispielsweise an „Integration“ denken, meinen wir in der Regel, dass sich Angehörige „fremder Kulturen“ bei uns „integrieren“ sollten. Damit meinen wir auch, dass sie unsere Sprache lernen und sprechen sollten – aber nicht nur: „Es scheint um mehr zu gehen.“ (S. 38) Meinen wir damit etwas wie Lebensart oder Lebensweise oder meinen wir das, „was wir im Falle eines Individuums dessen Charakter nennen würden“. (S. 38) Damit aber verbinden wir die Vorstellung des Festen und Unabänderlichen. „Eben die Vorstellung von der ‚Natur‘ eines Menschen.“ (S. 39)
Maani erinnert in den vorliegenden sechs Essays an die Verstrickungen von Identität und Kultur und er stellt die Frage, welches Konzept von Gesellschaft hinter der Inflation von Begriffen wie „Kultur“, „Leitkultur“ oder „Kampf der Kulturen“ in der aktuellen Debatte steckt. Für ihn handelt es sich dabei um substanzlose Ersatzbegriffe, die als „Abwehrfunktion gegen Verunsicherungen aller Art“ (S. 11) eine Rolle spielen. Eine Reihe von Beispielen belegt im Folgenden die kritisierte Kulturalisierung der gesellschaftlichen und politischen Debatten. Im Zusammenhang mit der Flüchtlingsbewegung verweist der Autor auf die vielfach geäußerte Angst vor der Entstehung von Parallelgesellschaften. Dabei bleibt ihm ein Rätsel, „in welchem Sinne in einer Gesellschaft, in der alle denselben Gesetzmäßigkeiten des Kaufens, des Verkaufens, des Konsumierens, des Arbeitens, des Arbeitsverlustes etc. etc. unterworfen sind, von ‚Parallelgesellschaften‘ die Rede sein kann“ (S. 53). Maani plädiert dafür, Kulturzuschreibungen den Respekt zu verweigern, die davon ausgehen, dass Bevölkerungsgruppen einer einzigen Kultur und einer einzigen Identität zugeordnet werden, bestimmt durch Herkunft oder Religion. Denn Menschen erwerben Rechte durch ihr Menschsein und nicht durch die Zugehörigkeit zu Religion, Kultur oder Herkunft. Diese nicht-kulturalistische Deutung des streitbaren Schriftstellers umfasst ein breites Spektrum an sozialen Grundrechten, die im Übrigen für den Zugang zu Wohnungen ebenso gelten wie für das Recht auf Familienzusammenführung, Sozialhilfe, Aufstiegschancen und politische Mitbestimmung. Daher sei es, so der Autor, unsinnig, von Menschenrechten oder individuellen Freiheiten als kulturellem Besitz zu sprechen, da diese universell gültig seien.
Unbehagen an der Säkularisierung
Kritisiert wird auch die gängige Praxis des religiösen Kulturalismus, der so funktioniere wie der politische. Du glaubst das, als der du geboren wurdest. Menschen müssten aber die Freiheit haben, sich gegen die religiöse Herkunft zu entscheiden. Das sei Grundlage für die demokratische Verfasstheit einer Gesellschaft. Nach Ansicht Maanis herrscht bei uns offenbar ein Unbehagen an der Säkularisierung, was den Wert der Religionsfreiheit in ihr Gegenteil verkehrt. Nicht der Schutz des Individuums vor den Belästigungen der Religion wird gewünscht, sondern die Freiheit der Religion. Der Autor glaubt auch, dass die „entspannte Haltung postmoderner ‚Ungläubiger‘ der Religion gegenüber“ lediglich Fassade sei, da man sich doch nicht vor etwas fürchten kann, woran man gar nicht glaubt (vgl. S. 17).
Weitere Texte über die iranische Revolution, über die Verteidigung der Psychoanalyse als Kulturkritik gegenüber der Psychotherapie und über die Frage, warum uns Israel erregt, analysieren ebenfalls Widersprüche des aufklärerischen Denkens.
Die Empfehlung zu guter Letzt: Unbedingt lesen, auch wenn es keine Lektüre für zwischendurch ist.
Maani, Sama: Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht. Klagenfurt: Drava-Verl., 2015. 128 S., € 15,80 [D], 16,30 [A]
ISBN 978-3-85435-757-5