Rechtswissenschaftliche Technikfolgenforschung

Ausgabe: 1993 | 2

Der Autor stellt eine neue "eigenständige Forschungsdisziplin" innerhalb der Rechtswissenschaften vor. Er rechtfertigt dies mit der Feststellung, daß traditionelle Strukturen des Rechts nur mehr in unzureichendem   Maße geeignet sind, die Sozialadäquanz der modernen Technik zu gewährleisten. Roßnagel ortet in diesem Bereich eine zentrale Aufgabe, die nur durch interdisziplinäre Forschungsbemühungen zu lösen sei. "Fehlendes Zukunftswissen" wird am Beispiel der rechtlichen Auseinandersetzungen um den Schnellen Brüter in Kalkar belegt. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hält für den Bereich der Atomtechnologie eine Beobachtungs-, Bewertungs- und Handlungspflicht der staatlichen Organe für notwendig. In einem Erkenntnis des BVerfG heißt es: "Soweit der Staat Technik zuläßt, trägt er auch die Mitverantwortung für deren Folgen." Dieser Mitverantwortung kann der Staat nur über seine gesetzgebenden Organe gerecht werden. Dazu bedarf es aber einer möglichst umfassenden Technikfolgenabschätzung. Ihre Aufgabe ist es, erkennbare Folgen aufzuzeigen und mögliche, (noch) unerkennbare Folgen anzudeuten. Diese Ergebnisse (Prognosen) sind anschließend einer Bewertung zu unterziehen. Dabei stellt sich die Frage nach den Bewertungskriterien. Roßnagel beklagt das Fehlen konsentierter Kriterienkataloge, bietet aber das Technikinduzierte Trendszenario, das Projektinduzierte determinierte Szenario und das Technikanstoßende Visionsszenario als juristische Konstruktionen zur Lösung an. Eindringlich warnt der Autor davor, "darauf (zu) vertrauen, daß die Rechts- und Verfassungsordnung eine verläßliche Schutzbarriere gegenüber solchem technikinduzierten Rechtswandel sein wird. Im Gegenteil ist eher zu erwarten, daß sich das Recht dem Anpassungsdruck der Technik beugt" Im innertechnischen Bereich kann das Recht kaum Lösungen anbieten, doch gerade dort, wo Techniker und Naturwissenschaftler ihr Metier verlassen, wo es um Wertentscheidungen geht, kann das Recht Wesentliches zur Techniksteuerung, -auswahl und -gestaltung leisten und so zu einer sozial und kulturell verträglichen Technik beitragen. M. T

Roßnagel, Alexander: Rechtswissenschaftliche Technikfolgenforschung. Umrisse einer Forschungsdisziplin. Baden-Baden: Nomos Verlagsges., 1993. 330 5., DM 74,- / sFr 62,70 / es 577,20