Berit Glanz

Filter

Ausgabe: 2023 | 4
Filter

„Digitale Bildkulturen“ ist eine Buchreihe, die sich, so die Selbstbeschreibung, „systematisch mit der ästhetischen, gesellschaftlichen und politischen Dimension von Bildphänomenen des Digitalen beschäftigt“. Herausgegeben von den Kulturwissenschaftler:innen Annekathrin Kohout und Wolfgang Ulrich, setzt sich jede der kleinformatigen, 80-seitigen Publikationen mit einem spezifischen Thema auseinander, von „Bildproteste. Widerstand im Netz“ (Kerstin Schankweiler) über „Bildzensur. Infrastruktur der Löschung“ (Katja Müller-Helle) zu „Gesichtserkennung. Vernetzte Bilder, körperlose Masken“ (Roland Meyer) und „EMOJIS. Geschichte, Gegenwart und Zukunft einer digitalen Bildschrift“ (Gala Rebane). Die Autorin und Essayistin Berit Glanz hat nun mit „Filter. Alltag in der erweiterten Realität“ eine Fortsetzung dieser inputreichen Reihe geliefert.

Wie Filter zum Massenphänomen wurden

Glanz zeigt auf, wie sich Bildbearbeitungsprogramme zu einem Mainstream-Phänomen entwickeln konnten, wie gestiegene Arbeitsspeicherkapazitäten in Computern, das Aufkommen des Smartphones wie auch die Programmierung mobiler Anwendungen digitale Filterverfahren für die breite Masse nutzbar werden ließen: „Die Auswirkungen dieser technischen Veränderung – die einfache Zugänglichkeit komplexer Bildmanipulationsmöglichkeiten durch den Einsatz von Filterfunktionen – sind nachhaltig und weitreichend, dabei ist es kaum zwanzig Jahre her, dass die ersten Filter-Apps auf den Markt kamen“ (S. 11).

Waren Filter zu Beginn noch reine Bildbearbeitungstechnologien – eingeflochten in die Benutzer:innenoberfläche Sozialer Medien wie Instagram und gerade deshalb so erfolgreich – , deren Hauptzweck meist auf die farbliche Anpassung eines Fotos hinauslief, so ist mittlerweile mit digitalen Filtern vor allem das „dynamische Hinzufügen von Augmented Reality“ (S. 30) gemeint. Und damit hat sich der Wirkungsgrad und das Wirkungsfeld rund um Filter deutlich verändert.

Augmented Reality, so erklärt Glanz, „steht für eine Realität, die durch interaktive Computertechnik um eine neue, digital hinzugefügte Dimension ergänzt und erweitert wird“ (ebd.). Das können Textbausteine sein oder eben die wohl allseits bekannten Katzenohren, Grafikelemente also, „die sich dynamisch an den fotografierten oder gefilmten Menschen anfügen“ (ebd.). Die Anfangsphase dieser gesichtsverändernden AR-Filter macht Glanz im Jahr 2014 fest und verweist auf die App Looksery, die, ob ihrer effizienten Gesichtserkennungssoftware, alsbald von Snapchat Inc. gekauft wurde. Damals wie heute ist ein bestimmter Aspekt für die Funktionsweise dieser AR-Filter von entscheidender Bedeutung: Gesichtserkennungsalgorithmen. Und Gesichtserkennungsalgorithmen sind im Entstehungs- wie Anwendungsprozess – wohl wenig überraschend – mit problematischen soziopolitischen Aspekten verwoben. Angefangen damit, dass Algorithmen via Machine Learning trainiert werden, was wiederum bedeutet: „Diese Algorithmen wurden und werden häufig mit menschengemachten, das heißt von Clickworker:innen unter prekären Bedingungen generierten Datensätzen gefüttert“ (S. 31).

Es geht noch einen Schritt weiter in der Entwicklung der Filter bis zum Jetztstand: „Die Filtersoftware der Gegenwart bietet nicht mehr nur die als realistisch wahrgenommene Veränderung des Ausgangsmaterials oder das Hinzufügen von Elementen an [...]. Stattdessen werden die Bilder von Grund auf modifiziert, indem mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete Software Bildinhalte entfernt oder ergänzt, manipuliert [...]“ (S. 47). Zwei Probleme konstatiert Glanz hier: „Erstens werden Filterkonzepte offenkundig ohne jedwede Sensibilisierung für etablierte Diskriminierungsstrukturen entwickelt; zweitens wird die den Filtern zugrunde liegende AI [Anm.: Artificial Intelligence] mit Datensätzen trainiert, die ebenfalls diskriminierende Strukturen der Gesellschaft abbilden und deswegen wiederum auch in den generierten Resultaten fortschreiben“ (S. 53). Entsprechende Fehler schreiben Unternehmen dann meist den Trainingsdatensätzen zu, anstatt ihrer Verantwortung für kritisch kuratierte Datensätze nachzukommen.

Filtertechnologien im steten Wandel

Berit Glanz arbeitet in ihren Ausführungen anschaulich heraus, dass den Ergebnissen von Filtertechnologien etablierte Blickregime inhärent sind, es an notwendigen Regulierungen fehlt und es daher umso mehr einer kritischen Auseinandersetzung bedarf. Dass neue Filtertechnologien zugleich neue Sehgewohnheiten entstehen lassen können, zeigt sie nicht zuletzt an der Problematik sich dadurch verändernder Schönheitsvorstellungen auf – aber auch an der Feststellung, dass sich Filter als Medienkunstform etabliert haben, dass sich eine ästhetische Sprache in unserem Alltag implementiert sieht, die neu und spannend ist, die humorvoll sein kann, und sich nach wie vor in einem rasanten Wandel befindet.