Stadt macht Zukunft

Ausgabe: 2016 | 4
Stadt macht Zukunft

Stadt als System: Zukunft urbaner Räume„In Zeiten des Umbruchs wie den unseren“, so die einleitende These von Klaus Burmeister und Ben Rodenhäuser in „Die Stadt als System“, „ist die Stadt auch deshalb als Gegenstand interessant, weil sie der natürliche Ort ist, an dem neue Lösungen zur gelebten Praxis werden müssen. Die Stadt ist das ‚Reallabor‘ par excellence, indem neue Modelle für das Leben und Wirtschaften nicht nur als Versuchsanordnung, sondern unter realen Produktionsbedingungen erprobt werden. Die Stadt ist deshalb ein Ort des Lernens, der neuen Geschäftsmodelle und der (sozialen) Intervention und Innovation” (S. 7).

Anhand von vier Themenschwerpunkten (Umwelt/Nachhaltigkeit, Technik/Vernetzung, Stadtkultur/Teilhabe und Soziales/Ungleichheit) benennen Burmeister/Rodenhäuser zehn Handlungsfelder, deren Potenziale, aber auch Risiken für die Entwicklung urbaner Räume ausgelotet werden. Diese seien im Folgenden kurz skizziert: 1.) Die Digitalisierung – zusammengefasst mit dem Begriff „Smart City“ – lässt die „dynamische Steuerung auf der Basis von Echtzeitinformationen“ mehr als nur möglich erscheinen: intelligente Mobilität, Energienutzung, Abfallentsorgung, ressourcenschonende Gebäude und eine mit der breiten Basis der Bevölkerung abgestimmte politische Steuerung sind keine ferne Utopie, sondern zeitnah realisierbare Strategien. Die entsprechenden Strukturen sollten auf „Open-Data-Basis“ entwickelt werden, empfehlen die Autoren, damit sie tatsächlich den BürgerInnen zugutekommen (S. 23). 2.) Nachhaltigkeit/Ökologie: Eine „Nachhaltigkeitswende“ wird nicht nur auf die Bereiche Energie und Verkehr abzielen, sondern auch einen anderen Umgang mit Werk- und Wertstoffen im Blick haben müssen. Auch auf der Prozessebene, zum Beispiel beim Abriss von Gebäuden, wird es zum Einsatz neuer Technologien kommen [so entwickeln in Japan produzierte Kräne beim Abtragen von Lasten schon heute selbst Energie] (vgl. S. 33). 3.) Arbeit und Produktion: Kreative Milieus – „der Beitrag der Kultur-und Kreativwirtschaft zum Bruttoinlandsprodukt ist mit 2,6 Prozent in Deutschland fast so hoch wie der der Automobilindustrie“ (S. 37) –, eine Renaissance der urbanen Produktion auf handwerklicher Basis und „Urban Farming“ werden hier als treibende Faktoren benannt. 4.) Handel und Logistik: Der Onlinehandel wird vor allem in urbanen Räumen weiter zunehmen; die Zahl der stationären Geschäfte bis zum Jahr 2020 um ca. 25 Prozent abnehmen (vgl. S. 44). Neue Shopkonzepte (etwa Hointer-Jeans) verbinden die Vorzüge des Online-Kaufs mit dem haptischen Erleben. Emissionsfreie Zubringer beschleunigen die Lieferung auf den letzten Metern vielleicht auch rund um die Uhr. 5.) Mobilität: Der autozentrierte Individualverkehr wird in Stadtregionen zum Auslaufmodell. Die Konzepte der Zukunft heißen „Shared Mobility“ (bis 2020), um 2025 sollten „intelligente Verkehrsflüsse“ –  der Austausch „Car2Car“ und „Car2Infrastructure“ – Realität sein; für die Dekade 2030/2040 werden „autonome Fahrzeuge“ für wahrscheinlich erachtet. Zumindest ebenso wichtig wie die technologische Entwicklung erscheint die mentale Bereitschaft zur Innovation. Denn erst wenn „die Fahrzeugnutzung und der Fahrzeugbesitzer voneinander getrennt sind, ist der Weg frei für eine höhere Auslastung der einzelnen ‚Fahreinheiten‘ und damit für eine Reduktion des Parkplatzproblems“ (S. 61).

Die weiterenHandlungsfelder beziehen sich auf soziale und politische Aspekte. 6) Stadtpolitik: Kommunale Politik, so die kompakte, treffende Analyse, habe es mit einer dreifachen Herausforderung zu tun. Es gelte, die fiskalische, die demografische und auch die Governance-Dimension im Blick zu haben. Letztere betreffend sei zu beobachten, dass immer mehr kommunalpolitische Aufgaben von zivilgesellschaft-lichen Akteuren wahrgenommen werden. Auch wenn festzuhalten ist, dass sich die finanzielle Situation von Kommunen höchst unterschiedlich darstellt, sei zunehmend auch ein Trend zur Rekommunalisierung zu beobachten, der darauf abzielt, „wieder ‚Herr im eigenen Haus‘ zu werden“ (S. 69). 7.) Teilhabe: Eine Kultur der Partizipation verfestigt sich auch in den Städten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit unterscheiden die Autoren hier vier Formen: a.) die Teilhabe auf Einladung, b.) die Teilhabe durch Protest, c.) die Teilhabe durch Ehrenamt sowie d.) die Teilhabe als Projektentwickler. In diesem Fall werden BürgerInnen zu ‚ Raumunternehmern‘, vor allem dort, „wo klassische Projektentwicklung-und Vermarktungsstrategien nicht greifen; aber auch dort, wo jenseits von monofunktional ausgerichteten Büro- und Wohnquartieren urbane Orte mit offenen Entwicklungsspielräumen, gemischten Nutzungen und unterschiedlichen Wertschöpfungsmodellen entstehen sollen“ (S. 76). 8.) Siedlungsstruktur: „Urbane Zentren, verstädterte Landschaft“ ist dieses Kapitel treffend betitelt. Beschrieben wird eine uneinheitliche Entwicklung. Festzustellen ist die „Renaissance der Großstädte“: München, Dresden, Mainz, aber auch Wien zählen zu den Gewinnern, mittlere und kleine Städte (vor allem im Osten Deutschlands) zu den Verlierern. Unvermindert hoch ist der Flächenverbrauch [der Städte]: Täglich werden in Deutschland 74 Hektar als Bauland ausgewiesen. Bis 2020, so die Absicht der Bundesregierung, soll der Zuwachs auf 30 Hektar gesenkt werden (vgl. S. 85 f.). 9.) Zusammenleben: In diesem Abschnitt werden (deutlicher als bei den anderen Themen) die Herausforderungen der gegenwärtigen Entwicklungen benannt: Vor allem in den Städten verfestigen sich die sozialen Milieus, wird Ungleichheit zementiert. Einkommen und Vermögen driften auseinander, immer geringer wird der Anteil derjenigen, die sich der Mittelschicht zugehörig fühlen, und nicht zuletzt geraten auch die Programme der sozialen Stadtentwicklung zunehmend in die Kritik, da durch sie die Armut eher verfestigt denn gemindert wird (S. 88 ff.). 10.) Wohnen und Quartier: Versöhnlich, ja durchaus optimistisch getönt nimmt sich das letzte Handlungsfeld aus. Erwartet bzw. empfohlen wird eine „neue, produktive Auseinandersetzung mit der Vielfalt der Wohnbedürfnisse“ (S. 98): gemeinsam Bauen und Wohnen, nutzungsvariable Wohnformen, serviceorientierte Wohnangebote und bezahlbarer Wohnraum werden als Optionen bzw. Forderungen angeführt und mit guten Argumenten beworben.

Mit einem Beitrag von Klaus Thoma, der die zuvor skizzierten Handlungsfelder aus ganzheitlicher Perspektive in den Blick nimmt, wird der Band beschlossen. Städte seien, so Thomas Zugang, als „dynamische Systeme“ vor allem dann gut für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet, wenn sie die Entwicklung von Resilienz in den Fokus rückten: die Förderung von „dezentraler Vielfalt“, von Autarkie (z. B. in der Sicherstellung von Energiesouveränität) sowie der Stärkung der Selbstorganisation und Lernfähigkeit auf breiter Basis werden als wesentliche Strategien benannt.

Mit diesem Band legen Klaus Burmeister und Ben Rodenhäuser ein ebenso faktenreiches wie anregendes Brevier zu Strategien einer zukunftstauglichen Stadtentwicklung vor. Auch wenn mögliche und wahrscheinliche Einwände und Widerstände hier weitgehend ausgeblendet wurden, so überzeugt doch der positive und ermutigende Impetus. Aufgrund des kompakten gehaltvollen Formats ist dieser Band vor allem EntscheidungsträgerInnen in kommunalen Planungsprozessen besonders zu empfehlen. Walter Spielmann

Bei Amazon kaufenBurmeister, Klaus; Rodenhäuser, Ben: Stadt als System. Trends und Herausforderungen für die Zukunft urbaner Räume. München: ökom-Verl, 2016. 136 S., € 14,95 [D], 15,40 [A]ISBN 978-3-86581-1807-1