Pazifismus passé? Eine Polemik

Ausgabe: 1997 | 2

Angesichts der Gräuel in Bosnien und Ruanda ist es schick geworden, der militärischen Intervention das Wort zu reden. Gegen diesen "modernen Bellizismus", der auch in die Gesellschaft der BRD zurückgekehrt ist, wendet sich Sibylle Tönnies, - es sei gleich vorweg gesagt - wichtiges, lesenswertes Buch, das mehr ist als eine Polemik. In genauer Beobachtung von öffentlicher Sprache und Zeichensetzung zeigt die Soziologin auf, wie der "neue Kriegsgeist" wieder Medien, Politik und Intellektuelle erfaßt. Dabei weicht die Autorin der schwierigen Frage des angemessenen Vorgehens gegen internationale Rechtsbrecher und Kriegstreiber keineswegs aus, sie plädiert auch für Interventionen polizeilicher Art die sich gegen die Anführer kriegerischer Handlungen richten (bis hin zum ”Tyrannenmord"). tritt aber vehement jener Renaissance militärischen Gehabes entgegen, das Völker wieder zu Feinden macht, wie im Falle "der Serben" geschehen. Und sie warnt eindringlich vor jener Denkrichtung, die vorgibt die Menschenrechte schützen zu wollen, der es aber vielmehr um die Zerstörung des Pazifismus als Idee geht. On diesem Kontext setzt sich die historisch bewanderte Autorin auch mit Vorwürfen wie der "Auschwitz-Verursachung" auseinander] Tönnies politische Utopie gilt einem Weltföderalismus. mus der Gesellschaften und Staaten: das "große Projekt des Völkerbundes" müsse weitergeführt werden, die UNO, welche durch den Kalten Krieg neutralisiert war, könne jetzt ihre Chance erhalten, wenn sie entsprechend aus-  gestattet und nicht durch die NATO an den Rand gedrängt werde. Analog der Überwindung des Fehdeprinzips durch die Landfriedensbewegung sowie der Herausbildung staatlicher Gewaltmonopole müsse das Tötungstabu auch auf die Staatengemeinschaft ausgeweitet und eine Art Weltpolizei geschaffen werden. Wie diese sich von den gegenwärtigen Militärs unterscheidet legt Tönnies in einem abschließenden Kapitel dar. H. H.

Tönnies. Sibylle: Pazifismus passé? Eine Polemik. Hamburg: Rotbuch-Verl., 1997. 164 S., DM / sFr 24,80 / öS 281