Frieden durch Ordnungsmächte?

Ausgabe: 2015 | 4

image019Da es keinen Weltstaat gibt, könne die Ordnung in der Anarchie der Staatenwelt nur aus deren Hierarchie resultieren, so die Ausgangsthese des Experten für Internationale Beziehung Ulrich Menzel in seiner umfangreichen Abhandlung (über 1200 Seiten umfasst das Werk) "Die Ordnung der Welt". Dreizehn solcher hegemonialer bzw. imperialer Mächte macht der Autor im letzten Jahrtausend aus, die er einer vergleichenden Analyse unterzieht. Beginnend bei der Song-Dynastie des frühchinesischen Reiches, das bis ins12. Jahrhundert dauerte, und die ihr folgenden Ordnungsmächte "Pax Mongolica" sowie der chinesischen Ming-Dynastie (drei in der westlichen Geschichtsschreibung unterschlagene Reiche) über die  Handelsmächte Genua und Venedig, das Osmanische Reich sowie die Kolonialmächte Portugal, Spanien und Niederlande, das absolutistische Frankreich, das von Großbritannien als erste Industriemacht abgelöst wurde, bis herauf zu den USA als "erster Hegemonialmacht mit globaler Reichweite", schildert Frenzel detailreich die ökonomischen, politischen, militärischen und kulturell-geistigen Bedingungen des Aufstiegs und Falls dieser Mächte.

Merkmale von Ordnungsmächten

Als Variablen, die den Aufstieg großer Mächte bestimmen, benennt Menzel neben Innovationsfähigkeit, Leitsektoren und einer ökonomischen Basis auch die Ressourcenausstattung und die jeweilige geopolitische Konstellation. Das Beunruhigende an den Analysen: der Machtwechsel wurde zwar in der Regel durch ökonomische Veränderungen, die mit kulturell-technologischen Innovationen zusammenhängen, eingeleitet, jedoch meist mittels militärischer Macht, also Gewalt, vollzogen. Noch schlimmer sind nach Menzel jedoch historische Phasen ohne klaren Hegemon, da diese eine Art Machtvakuum erzeugten. Große Mächte könnten im Unterschied zu kleinen Mächten die Option des Isolationismus wahrnehmen "und die Staatenwelt der Anarchie überlassen" (S. 17). China und die USA in ihrer Frühphase seien Beispiele dafür. Letztere hätten durch ihre isolationistische Politik den Expansionismus faschistischer Mächte in Deutschland, Italien und Japan ermöglicht, was in den bislang zerstörerischsten aller Kriege, den Zweiten Weltkrieg, geführt habe. Russland und seit der Oktoberrevolution die Sowjetunion ordnet Frenzel nicht als Mächte mit hegemonialem Anspruch ein, da sie zu geringe ökonomische und kulturelle Strahlkraft gehabt hätten (was zumindest für letztere wohl umstritten ist).

Wer sich auf die hier ausgebreiteten "1100 Jahre Weltgeschichte" eingelassen hat oder auch früher zum Schlusskapitel über "Weltsysteme, internationale Ordnung und den Wechsel der Ordnungsmacht" übergeht, erfährt die Einschätzung der aktuellen und zukünftigen Lage der Welt durch den Autor. Wie andere auch konstatiert Menzel die Machtverschiebung vom Atlantik zum Pazifik, die USA würden in den nächsten Jahrzehnten als Hegemonialmacht bestehen, auch wenn deren Finanzierung immer mehr auf Verschuldung basiere. Seit der Öffnung Chinas ab 1978 sowie der "großen Wende des Jahres 1990" habe die "Pax Americana" wirklich globale Reichweite  und es könne erstmals in der Weltgeschichte "auch von einem globalen Weltsystem" gesprochen werden. "Ob darin die USA ab etwa 2035 von China und womöglich China eines künftigen Tages von Indien als Ordnungsmacht abgelöst oder ob eine Rückkehr zur Anarchie der Staatenwelt das Resultat eines möglichen Hegemonialkonfliktes zwischen den USA und China ist, wird man sehen", (S. 1139) so bleibt auch der Autor nach über 1000 Seiten Analyse letztlich vage.

Resümee: Dass ein multilaterales und damit auch demokratischeres Weltsystem für das 21. Jahrhundert ebenfalls machbar sein könnte, ist zwar für Menzel unwahrscheinlich, sollte aber deswegen nicht von vorherein ausgeschlossen werden. Die globalen Verflechtungen im Bereich Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien könnten dazu beitragen, so etwas wie Weltsozial- und Umweltpolitik zu entwickeln.

Hans Holzinger

Menzel, Ulrich: Die Ordnung der Welt. Imperium oder Hegemonie in der Hierarchie der Staatenwelt. Frankfurt:: Suhrkamp 2015. 1229 S., € 49,95 [D], 51,30 [A]  ISBN 978-3-518-42373-1

„Vieles deutet darauf hin, dass das Zentrum der Welt, nachdem es zwischenzeitlich Eurasien verlassen und sich in die Neue Welt verlagert hat, wieder an das östliche Ende der alten Entwicklungsgeschichte zurückkehrt.“ (Frenzel, S. 21)