Neue Leitbilder für gesellschaftliches Handeln

Ausgabe: 1996 | 2

Ursprünglich war das Projekt der Moderne anders gedacht - doch wichtige Voraussetzungen wurden obsolet, so die Trennung der Welt in zwei Machtblöcke oder der Glauben an unendliches Wachstum; normative Orientierungen drohen zudem im Spannungsfeld zwischen zunehmender Individualisierung einerseits und Globalisierung andererseits verloren zu gehen. Erstere verändert die Form sozialer Beziehungen, z. B. wird die Einhaushaltfamilie zu einer „multilokalen Mehrgenerationenfamilie", deren Zusammenleben andere Qualitäten gewinnt. Wie die privaten Beziehungen ihr Erscheinungsbild wechseln, so ist dies auch bei ökonomischen und öffentlich-sozialen Phänomenen zu konstatieren: Dies kann durchaus eine Chance sein: Das 21. Jahrhundert als Gründerzeit für neue Ideen!? R. Dietz-Hochleitner, Präsident des Club of Rome, meint etwa, daß das Management des privaten Unternehmers einen "dringlichen Wandel seiner Paradigmen benötigt, damit die Folgen unternehmerischen Handelns in einem sozialen, kulturellen und ökologischen Sinne über sein unmittelbares Wirkungsfeld hinausgehen". Konkreter wird der amerikanische Soziologe Amitai Etzioni, der das Konzept des Kommunitarismus vertritt: "Weder die menschliche Existenz noch die individuelle Freiheit können langfristig außerhalb der interdependenten Gemeinschaften bestehen", also sollten die Menschen, statt nur auf ihre Rechte zu pochen ... sich auf ihre Pflichten besinnen", ein "hinreichendes Maß an gemeinsamen zentralen Werten" zu erlangen. Dieser Wertekanon soll nicht von Generation zu Generation weitergereicht, sondern an die Aktualität angepaßt werden. Die weltweiten wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Interdependenzen thematisiert Wolf Lepenies, Rektor des Wissenschaftskolleg zu Berlin. Die Zeiten der umfassenden Dominanz der zentraleuropäischen Länder, so Lepenies, sei vorüber. Nahezu jeder Kontakt zu ost- oder außereuropäischen Ländern ließ sich in Vergangenheit und Gegenwart als Demonstration der eigenen Überlegenheit entlarven oder als Versuch, eigenen Vorteil zu erlangen. Nun aber müssen unsere “Belehrungskulturen" zu Lernkulturen werden. Zwischen den Kulturen sollten sich zunehmend Lerngemeinschaften herausbilden, wodurch die Innovationspotentiale insgesamt wachsen würden. Zudem sollte unser diplomatischer Nachwuchs neben den juristischen Regelungskompetenzen auch anthropologische Fähigkeiten erwerben. S.Sch.

Die Zukunft denken. Neue Leitbilder für wirtschaftliches und gesellschaftliches Handeln. Hrsg. v. Warnfried Dettling. Frankfurt/Main (u.a.): Campus-Verl., 1996. 176S., DM 48, -/sFr 46, -löS 355,-