Naturwissenschaftlicher sprechen über ihre Welt

Ausgabe: 1991 | 3

"Rationalität der Naturwissenschaftler und Vernunft, das hat wenig miteinander zu tun" -diese Feststellung des Kernphysikers Bernhard Gonsior kennzeichnet einen der Themenkomplexe dieses unterhaltsamen und faktenreichen Interviewbandes, in dem Chemiker, Biologen, Mathematiker und Physiker der Jahrgänge 1906 bis 1952 zu Wort kommen. Die dem deutschsprachigen Raum zuzuordnenden Autoren legen mit jeweils unterschiedlichem Schwerpunkt dar, was sie heute anders sehen, inwieweit sich das Bewusstsein ändern müsste, um ökologische Katastrophen zu verhindern, was jetzt schon konkret angepackt werden könnte und welche Entwicklungen uns Hoffnung machen. Daneben geht es in zahlreichen Gesprächen auch um die Frage, inwieweit naturwissenschaftlich "abgesegnete" Fakten oder Theorien überhaupt als verbindlich angesehen werden können. Gerade angesichts der Tatsache, dass vielen von uns wissenschaftliches Wissen als gesichert gilt, ist es wichtig zu erfahren, wie Naturwissenschaftler diese scheinbar unumstößlichen Ergebnisse bewerten. Für den Physiker und Nobelpreisträger Gerd Binnig beispielsweise gibt es nichts Absolutes, er glaubt vielmehr an ein "dualistisches Ausbalancieren zwischen den Polen". Welche Rolle die Intuition im Erkenntnisprozess spielt, zeigt der Chemiker und Physiker Hans Sachsse auf. In einigen Interviews gehen die Wissenschaftler der Frage nach, worauf sich das Denken ausrichten sollte, um jene Erkenntnisse anzustreben, die Mensch und Umwelt dienen. Zurück zur Natur, zu einem Leben ohne Industrie und Zwang zur Rationalität sei in unserer Welt "böse Utopie". Stattdessen solle künftig die Maxime qualitativen Wachstums gelten. Und das heißt für den Biologen Hans Mohr bessere Technologie und höhere Rationalität. Fritz Vahrenholt schöpft Zuversicht aus der Neu-Orientierung im Management zweier Chemie-Giganten. Thomas v. Randow hingegen verweist auf die Verlogenheit zahlreicher Entwicklungen im Namen einer besseren Umwelt und kommt zu dem Schluss, dass sich nur da etwas geändert habe, wo es nicht viel kostete. In vielen Bereichen stellt auch Ernst U. v. Weizsäcker "Trends zur Verschlechterung" fest, denn die negativen Aspekte der Militärtechnik, der Atomtechnik, der Gentechnologie, der Informatik der schlichten Industrialisierung etc. habe man nicht im Griff. Dennoch sieht er eine Chance, man müsse "nur das Richtige anpacken". Sein Institut für Europäische Umweltpolitik versuche immerhin die Prioritätendiskussion in Politik und Forschung zu beeinflussen. 

Was uns bewegt. Naturwissenschaftler sprechen über sich und ihre Welt. Hrsg. v. Marianne Oesterreicher-Mollwo. Weinheim (u.a.) Beltz, 1991.4005., 54,- / sFr 45,80 / öS 421,20  DM