Sind wir zur Gewalt verurteilt? Dies fragt der Wissenschaftstheoretiker Franz. M. Wuketits, der sich mit der menschlichen Veranlagung zu Mord, Krieg und Terror beschäftigt. Die Triebfeder für Gewalt ist die Aggressivität bei Mensch und Tier, die aufgrund der Konkurrenz um knappe Ressourcen nötig ist. Menschliche Gewalt hat jedoch eine kulturelle Konnotation und nimmt je nach Rahmenbedingungen andere Formen an.
Mit der Bildung von politischen Einheiten und der technologischen Entwicklung wurde Gewalt kollektiv: Im Vordergrund stand nicht mehr das individuelle Gewalthandeln zwischen zwei Konkurrenten (oder, im Fall der Todesstrafe, zwischen Staat und Untertan), sondern ein strategisches Organisieren von Gewalt durch eine signifikant hohe Anzahl von Personen. Der Krieg war erfunden. Eine unselige Rolle spielen bis heute dabei Ideologien, die einer Differenzierung zwischen „Wir“ und „die Anderen“ folgen. Tatsächlich sind Ideologien die folgenreichste Ursache von Gewalt, da deren Anhänger glauben, aus der einzig richtigen Motivation heraus zu handeln (vgl. S. 32).
Bereits im Altertum hat das Expansionsstreben einzelner Herrscher die ersten „innovativen“ Kriege hervorgebracht: „Das eigentliche Drama von Kriegen, wie sie im Altertum begannen, besteht darin, dass selbst völlig unbeteiligte, am Krieg überhaupt nicht interessierte Menschen hineingezogen werden (…)“ (S. 55). Die Gewaltbereitschaft intensivierte sich im Mittelalter, als der Glaube Menschenmassen stark ideologisierte. In der Neuzeit kamen die großen europäischen Konfessionskriege dazu und vor allem die europäischen Eroberungen in Amerika und Afrika, die zur Ausrottung ganzer Völker führten. Die Kategorisierung in Über- und Untermenschen spielte dabei eine zentrale Rolle (S. 80).
Kriegstechnik und kollektiver Mord
Die Entwicklung von Kriegstechnik brachte eine grausige Effizienz in das kollektive Morden: „An die Stelle von Lanzen und Schwertern treten zunehmend Distanzwaffen, bei deren Einsatz sich die jeweiligen Gegner nicht mehr direkt gegenüberstehen (…). Ein solcher Umstand begünstigt eine emotionale Enthemmung, die ihrerseits dazu führt, dass Kampfhandlungen immer grausamer verlaufen“ (S. 84). Die beiden Weltkriege als „ultimative Gewalt-exzesse“ stehen exemplarisch für das technisiert-distanzierte Töten. Auch heute wirken die alten Formen der Gewalt nach – mit dem Terrorismus hat es eine deutliche Zunahme individualisierter-ideologisierter Gewalt gegeben. Damit einhergehend hat sich eine neue Form von Gewalt etabliert: die strukturelle Gewalt, die sich im Abbau bürgerlicher Freiheiten im Namen der Sicherheit äußert. Es scheint,dass diese Form der Gewalt zunimmt – während physische individuelle Gewalt (und das ist die eigentliche gute Nachricht des Buches) permanent weniger wird (S. 122).
Wuketits greift mitunter auf Allgemeinplätze zurück – etwa dass gewalttätige Computerspiele Aggression und damit Gewalttätigkeit fördern. Auch taucht manch unglücklicher Vergleich auf, etwa wenn Bürokratisierung bzw. Überregulierung als strukturelle Gewalt benannt wird (so etwa im Fall der Allergenverordnung der EU). Eine stärkere Einbindung wissenschaftlicher Quellen hätte dem Thema gutgetan.