Überlebensinstinkt allein reicht nicht im 21. Jahrhundert

Ausgabe: 1994 | 4

Eine tragische Ironie zu Beginn: In 2340 Wochen der sogenannten "Nachkriegszeit" zwischen 1945 und 1990 gab es weltweit nur drei kriegsfreie Wochen. Und auch heute befinden wir uns inmitten einer Talfahrt in die finstersten Keller von Stammeshass, Verwüstung, Gewalt und Menschenverachtung. Die Armeen der Welt bemühen sich fieberhaft, den neuen Anforderungen im Informationszeitalter gerecht zu werden. "Die Friedenskämpfer hingegen trotten hinterher und versuchen sich mit Methoden, die einer längst vergangenen Zeit angehören."

Das renommierte Zukunftsforscherehepaar befasst sich mit dem Thema Krieg und Kriegverhinderung im kommenden Jahrhundert. Seine These lautet: "Die Art, wie wir Krieg führen, spiegelt die Art wider, wie wir Reichtum schaffen - und die Art, wie wir den Antikrieg führen, muss die Art widerspiegeln, wie wir Krieg führen." Vor diesem Hintergrund wird der enge Zusammenhang zwischen der Art der Kriegführung und der Art zu arbeiten und Wissen anzueignen, reflektiert. Die Methoden, wie wir Wohlstand erzeugen, verändert auch die Art der Kriegführung und Waffensysteme. Diese - ob satellitengestützte Aufklärungsflugzeuge oder "intelligente" und nicht-letale Waffen - werden eingehend analysiert. Charakteristisch für die Zukunft wird nach Ansicht der Autoren die "radikale Diversifikation der Kriege" sein. In einer sich ständig verändernden Welt werden Kriege nicht mit Reden, Friedensmärschen, Gebeten oder Menschenketten verhindert; vielmehr bedarf es, so die Ansicht der Autoren, zur Eindämmung von Gewalt des Einsatzes militärischer, wirtschaftlicher und informationeller Macht.

Gefordert wird ein neues Verständnis der Beziehungen zwischen dem Krieg und einer sich rapide verändernden Gesellschaft. Das heißt auch, keine Noteinsätze und Interventionen, wenn der Konfliktfall bereits eingetreten ist, sondern zukunftsorientiertes präventives Handeln im Bewusstsein möglicher künftiger Kriege. Friedenserhaltung wird immer stärker von der Aneignung, Verbreitung und Beherrschung von Wissen abhängen, Informationsüberlegenheit entscheidet über Krieg und Frieden. "Die neuen Medien verändern nicht nur die Wirklichkeit, sondern vor allem unsere Wahrnehmung von ihr - und damit den Kontext, in dem Kriegs- und Friedenspropaganda konkurrieren." Die Autoren fordern von den Friedensaktivisten, die Alpträume vom "atomaren Winter" beiseite zu legen und "phantasievoll über die Politik, die Ethik und die militärischen Realitäten" nachzudenken, denn für das 21. Jahrhundert wird der Überlebensinstinkt allein nicht ausreichen. Und trotzdem sind die Zukunftsforscher optimistisch: "So wie wir eine neue Kriegsform erfunden haben, so werden wir auch neue Formen der Gewaltbegrenzung erfinden müssen."

A.A.

Toffler, Alvin u. Heidi: Überleben im 21. Jahrhundert. Stuttgart: Dt. Verl.-Anst., 1994. 3995., DM 39,80/ sFr 36,60/ öS 311