Walter Scheidel gehört zu den Erforschern der Ungleichheit, dessen Studien nicht gerade optimistisch machen. Während Anthony B. Atkinson Vorschläge positiv stimmen, warnt Scheidel: „Be careful what you wish for.“ (S. 444)
In seinem Buch „The Great Leveler“ argumentiert Scheidel, dass es immer Gewalt und Leid waren, die Ungleichheit reduzierten. In vier Formen sei dies in der Geschichte seit der Steinzeit geschehen: Durch Krieg, Revolution, Zusammenbruch von Staaten oder Epidemien. Wer glaubt, dass Sozialreformen, Demokratie, wirtschaftliche Entwicklung oder Bildung Ungleichheit reduziert hätten, täusche sich.
„Reforms at the margins are unlikely to have a significant effect on current trends in the distribution of market income and wealth. … Time and time again the compression of material imbalances within societies were driven by violent forces either that were outside human control or that are far beyond the scope of any viable political agenda.” (S. 436)
Nicht alle Kriege reduzieren Ungleichheit
Die Bedeutung von Kriegen betreffend, betont er, dass nicht alle Kriege Ungleichheit reduzierten. Es waren vor allem im 20. Jahrhundert die Kriege der Massenmobilisierung, die diesen Effekt hatten. Kleinere Kriege, Bürgerkriege und anderes hatten den Effekt nicht. Auch bei Revolutionen betont er, dass das auf den Aufstand folgende Regime entscheidend sei. Die Französische Revolution reduzierte Ungleichheit in übersichtlichem Ausmaß, die Russische Revolution hingegen deutlich, um nach dem Zusammenbruch des Kommunismus schnell die westlichen Niveaus der Ungleichheit zu übertreffen.
Scheidel beobachtet, wie fast alle Forscher in diesem Feld, eine wachsende Ungleichheit in den Gesellschaften der Gegenwart. Er sieht nicht viele Gründe, warum der Trend sich ändern sollte. Nachdem er Reformen als „ohne relevanten Effekt“ eingestuft hat, bleiben s. E. nur die vier analysierten Formen der Gewalt als mögliche „Optionen“ zur Korrektur der Entwicklung. Aber wird es große Kriege, die relevante Teile der Bevölkerung als Soldaten brauchen, noch geben? Scheidel bezweifelt das. Auch Revolutionen seien „aus der Mode“ und Revolten bringen kaum etwas. Der Kollaps von Staaten sei extrem selten geworden, vor allem im Westen. Schließlich bleiben Epidemien als „Gleichmacher“, diese seien zwar denkbar, aber auch die Fähigkeit der Medizin zur Abwehr sei größer denn je.
Sozialreformen hatten keinen Effekt
Was die Sozialreformen des 20. Jahrhunderts betrifft, fegt Scheidel deren Bedeutung mit folgenden Argumenten vom Tisch: Es gebe keinen Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und der Frage, ob linke oder rechte Parteien regierten, außer auf das Ausmaß des Verdienstes des obersten einen Prozentes. Der Effekt auf den Spitzensteuersatz betrug im Schnitt von 1916 bis 2000 drei Prozent (48 auf 51 Prozent). Auch die Stärke der Gewerkschaften, gemessen am Organisationsgrad, korreliere nicht mit reduzierter Ungleichheit. Auch die Ausweitung der Gruppe der Wahlberechtigten hatte kaum Effekte. (S. 366)
Die Zahlen von Scheidel und seine Argumente sind ernüchternd. Sie könnten Defaitismus fördern und unterstützen neoliberale Ideen, wonach Ungleichheit zu akzeptieren sei, wenn es Wirtschaftswachstum bringe und somit das absolute Niveau des Wohlstands steige. Man kann aber auch betonen, dass die Phase sinkender oder zumindest nicht steigender Ungleichheit im 20. Jahrhundert in Westeuropa mehr als nur den Kriegen geschuldet war. Die Korrelationen Scheidels verschütten einige Lektionen übersichtlicher Zeitspannen und Regionen. Denn wenn auch einzelne Projekte der Reduzierung von Ungleichheit nur regionale Bedeutung haben und sie in der Gesamtsicht vieler Staaten aufgehoben werden, so enthalten sie doch Hinweise, aus denen man lernen kann. Weiters stellt sich die Frage, inwieweit nicht allein die Drohung mit Revolution bereits Effekte hatte, so dass Ungleichheit ohne Gewalt reduziert wurde.
Freilich wollen wir die Flinte nicht ins Korn werfen. Das Bemühen um mehr Gleichheit bleibt auf der Agenda. Stefan Wally
Scheidel, Walter: The Great Leveler. Violence and the History of Inequality. Princeton and Oxford: Princeton Univ. Press, 2017. 504 S., € 27,99 [D], 28,80 [A] ; ISBN 978-0-691-16052-8