Detailreich und unter Verarbeitung zahlreicher Quellen (auch aus dem jugoslawischen Raum selbst) zeichnet die Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen bei München die Genese und den Verlauf des Krieges in Bosnien-Herzegowina, beginnend mit der Erosion der staatlichen Strukturen im Zuge des zunehmenden Nationalismus, nach. Ohne den Hauptanteil der serbischen Seite an der Aggression und den Kriegsverbrechen zu leugnen, macht sie deutlich, daß zuletzt alle drei Parteien auf die Strategie des Krieges setzten. In der Beschreibung der Täter tritt sie dem anthropologisierenden Klischee des "kriegerischen Balkan" entgegen und arbeitet die Eigendynamik entfesselter Gewalt im rechts- und sanktionslosen Raum - vom Racheprinzip bis hin zu simpler Kriminalität - heraus.
Kritik erfährt auch die Internationale Staatengemeinschaft, deren Kantonisierungspläne den ethnonationalistischen Kriegsstrategien weiteren Vorschub geleistet und den Kampf um Territorien lediglich verstärkt hätten. Als folgenschwere Fehlleistung bezeichnet Calic die internationale Anerkennung Bosnien-Herzegowinas vor dem Hintergrund der "dramatischen Wirtschaftskrise" und des sich aufschaukelnden Nationalismus. Als Eckpfeiler eines stabilen Friedens nennt sie substantielle territoriale Zugeständnisse der Serben gegenüber den Muslimen, die Möglichkeit der Rückkehr aller Vertriebenen in ihre Heimat, die Wiedererrichtung funktionierender Gewaltmonopole und individuelle Bestrafung der Kriegsverbrecher.
Überdies sei ein Interessensausgleich zwischen Kroatien und Serbien unabdingbar. Aufgabe der internationalen Vermittler sei es vor allem, den Kriegsparteien die Aussichtslosigkeit ihrer Kriegsstrategien deutlich zu machen. Daß die menschliche und wirtschaftliche Tragödie dieses Krieges, die das letzte Kapitel des Bandes festhält, zum Einlenken zwingen wird, bleibt dabei als vage Hoffnung. Vielleicht zuwenig hebt Calic die Möglichkeiten der Stärkung jener Kräfte im gesamten ehemaligen Jugoslawien hervor, die jenseits nationalistischer Verhetzungen und Machtambitionen die Fragen nach dem Wiederaufbau und der Versöhnung in den Mittelpunkt stellen.
H. H.
Calic, Marie-Janine: Der Krieg in Bosnien-Herzegowina. Ursachen, Konfliktstrukturen, Internationale Lösungsversuche. Frenkiutt/M: Suhrkamp, 7995. 257 S., DM 79,801sFr 79,801öS 155,