Mögliche Zukünfte - Szenarien für die postmoderne Gesellschaft

Ausgabe: 1994 | 2

In dem aus einem Utopien-Seminar von Rolf Schwendter (GH Kassel) hervorgegangene Bändchen skizzieren die Autoren in groben Zügen drei Pfade einer postmodernen Gesellschaft. Szenario 1 ("Systemimmanente Gesellschaftliche Entwicklung") sieht unter der Dominanz ökonomischer Innovation Prinzipien der Selbstverwaltung und der Bürgerinitiativbewegung verwirklicht: Nicht nur die Kapitalbeteiligung aller, auch die "Vergleichgültigung aller Berufsstände" - aus den ehemals getrennten Bereichen "Arbeit" und „Forschung" entwickelte sich der „Arbeitsforscher " - sind realisiert. In der "humanitär-ökologischen Ökonokratie" sind die "Verabschiedung der Politik", der Abbau räumlicher Hierarchien und die Integration von Arbeits- und Privatsphäre selbstverständlich geworden. Als Gefahren dieser unter dem Diktat der Ökonomie stehenden Gesellschaft werden die Erniedrigung der (unflexibleren) Männer (!), Gefühlskälte, sexuelle Enthaltsamkeit und gar "das langsame Aussterben der Menschheit" benannt.

Mehr Sympathien entwickeln Seitz/Becker für Szenario 2, das "Kommuneleben - jenseits von Ökonomie und High-Tech". In einem vom Zeitdruck befreiten Zusammenleben, in dem es keinen persönlichen Besitz mehr gibt, sind "verantwortliche Intelligenz" und "Gemeinschaftlichkeit" einander bedingende Prinzipien. Die Trennung von Leistung und Entlohnung sowie "eine der Dynamik des Seins" verpflichtete Lebensführung wird (auch ethymologisch) als die dem Menschen gemäße definiert: Das Tauschen und Wechseln ordnen Ökonomie und Technik eine neue, untergeordnete Rolle zu. Auch in diesem Modell jedoch lauern Gefahren: Da alles auf Freiwilligkeit beruht, können Gruppenegoismen den Blick auf die Zusammenhänge trüben, durch Selbstkrämerei könnte gar "die menschliche Evolution weitgehend aufgehalten werden".

Tatsächlich Neuland erkundet Szenario 3 ("Leben und Energie"): In einer von Telepathie und synergetischen Prozessen geprägten Zukunft würde das Leben durch unerschöpfliche Energieflüsse auf nicht-materieller Basis geprägt sein. Wenn sich - um nur ein Beispiel zu nennen -, wer immer will, die reife Banane aus dem südlichen Afrika auf den Teller beamt, wird es zwar keine Transportprobleme mehr geben, der diktatorischen Einflussnahme wie auch der grenzenlosen Spekulation über Facetten des (Un)Möglichen werden aber Tür und Tor geöffnet.

Größere editorische Sorgfalt hätte der Band jedoch allemal verdient. (Bezugsadresse: Gunar Seitz: Brentanostr. 42, D-34125 Kassel).


W Sp. 

Seitz, Gunar; Becker; Ragnhild: Leben in einer nachtechnologischen Gesellschaft. Wege in mögliche Zukünfte.

Kassel: Eigen-Verl., 1993. 62 S.