Stuart Jeffries

Everything, All the Time, Everywhere

Ausgabe: 2022 | 2
Everything, All the Time, Everywhere

Sind wir nicht alle ein bisschen postmodern? Stuart Jeffries Antwort darauf ist eindeutig: Ja, allesamt; und zwar nicht nur ein bisschen. Doch warum so alarmierend, wenn es um den Postmodernismus geht? Entstanden ist dieser doch als Reaktion auf die einfachen und unterdrückerischen Wahrheiten des Modernismus. Statt Universalismen, gibt es nun Vielfalt, Widersprüche und Zufälle. Die einfache Wahrheit wird dekonstruiert und deckt dabei nicht selten auf, dass diese vermeintlichen Wahrheiten Resultat von Machtverhältnissen und dem Wunsch nach ihrem Erhalt sind: „post-modernism is the revolution we need to restore our utopian hopes by means of a liberating free-for-all.“ (S.7)

Über Postmodernismus

Postmodern bedeutet also, flexible Identitäten, Wahrheiten als Interpretationen und die Verabschiedung von Ideologien. Wie so oft findet Jeffries unterhaltsame Beispiele dafür: „Madonna may be a post-modern artist for revelling in such knowing paradoxes as being a queer icon while apparently straight, for being a feminist hero while dressing as if for the role of a soft-porn fantasy, and for multiplying her personae (virgin, saint, mother, femme fatale)“ (S.15). Mit jedem dazukommenden Detail, fällt die Zuordnung schwerer bzw. wird sogar obsolet.

Der alarmierende Teil entsteht erst durch die Gleichzeitigkeit des Entstehens des Postmodernismus mit einer anderen, neuen Ideologie: Dem Neoliberalismus und seinem schlanken Staat. Im Zusammengreifen beider entstand eine wirkmächtige Dynamik, die unser Zusammenleben – mit all seiner Flexibilität, Unsicherheit und dem Erfolgsversprechen des freien Marktes – bis heute prägt. Auf den ersten Blick wirkt das paradox, wo doch eine postmodern geprägte Analyse das einfache Versprechen des freien Marktes als Ordnungsmechanismus schnell entlarven kann. Zu keinem Zeitpunkt wird dementsprechend behauptet der Neoliberalismus sei postmodern oder umgekehrt. Dennoch erwuchsen aus der schieren Gleichzeitigkeit der Entstehung beider Gesellschafts- und Marktansätze Parallelen, die das Gesicht des heute etablierten Gesellschaftssystems erklärbar machen.

Ein buntes Potpourri

Und so macht sich Jeffries auf den Weg dieses schaurige Zusammenwirken zu dechiffrieren, indem er Highlights aus Politik- und Zeitgeschichte paart mit Ereignissen oder Personen aus Kunst, Konsum und Unterhaltung. Der Bucheinband verspricht ein buntes Potpourri, der Inhalt hält das. So ist das Werk sicher nicht für neuste Erkenntnisse auszuzeichnen, es zeigt jedoch deutlich, wie der Postmodernismus im erneuerten Kapitalismus aufgeht, wie dadurch eine neue Kultur des Fließenden, Flexiblen und Offenen etabliert wurde. Und wie wir in ihr von Bürger:innen zu Konsument:innen wurden und auch nur noch so adressiert werden: „we have become habituated to being consumers rather than citizens. Politicians treat us as consumers to whom they must deliver; we grumble about politics as consumers do about a disappointing product or service. Shock and buyer’s remorse are the only fitting attitudes towards politics conceived as an extension of shopping. Without post-modernism, such attitudes might not exist.“ (S. 18)

Ein unterhaltsames, erschreckendes und erleuchtendes Buch, welches sich ganz in der Tradition heutiger Analysen fast schon als Krimi lesen lässt.