Helge Peukert

Mikroökonomische Lehrbücher

Ausgabe: 2020 | 2
Mikroökonomische Lehrbücher

„Wissenschaft oder Ideologie?“ übertitelt Helge Peukert seine Studie über mikroökonomische Lehrbücher. Nicht weniger als 23 aktuelle Theorieschulen benennt der Leiter des neuen Masterstudiengangs „Plurale Ökonomik“ an der Universität Siegen, in dessen Rahmen das Forschungsprojekt durchgeführt wurde. Die Ansätze reichen von der Neoklassik und dem Monetarismus über den Neukeynesianismus und den Postkeynesianismus bis hin zur Regulationstheorie, dem Ordoliberalismus, dem Marxismus, der Ökologischen Ökonomie und der Feministischen Ökonomie. In der Folge reduziert der Autor seine „Feldvermessung“ (S. 16) auf Ansätze, die er dem „Mainstream“ zuordnet und jene der „Heterodoxie“. Beide Ansätze unterscheiden sich hinsichtlich der Beschreibung von Märkten (etwa Gleichgewichtstheorie versus Regulationstheorie),das Menschenbild (etwa rational berechnender „Homo oeconomicus“ versus „Homo duplex“, der utilitaristische und altruistische Seiten hat), der Rolle des Staates (möglichst wenig Eingriffe versus wirtschaftspolitische Steuerung), der Funktion des Geld- und Finanzsystems (neutrales Medium versus Machtinstrument) oder der Bedeutung nicht am Markt erbrachter wirtschaftlicher Aktivitäten wie Care-Arbeit (Negation versus Berücksichtigung).

Die beiden Denkschulen weisen selbstredend unterschiedliche Schattierungen auf – Peukert spricht etwa von „Mainstream I und Mainstream II; letzterer nimmt Aspekte der heterodoxen Ansätze auf, beispielsweise im Konzept asymmetrischer Information oder der Spieltheorie). Als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal benennt der Autor jedoch das Wissenschaftsverständnis: während sich die einen als naturwissenschaftlich-mathematisch verstehen, sehen die anderen die Ökonomik als sozialwissenschaftliche Disziplin, die als solche plural bzw. heterodox angelegt sein muss, da es keine wertneutral-objektiven Aussagen gäbe. „Pluralismus ist unser Schicksal.“ (S. 53)

Als analytischen Rahmen stellt Peukert jeweils 11 Grundannahmen bzw. Charakteristika beider Denkschulen heraus (die er mit „M1-M11“ für den Mainstream und „H1-H11“ für die Heterodoxie kennzeichnet). Diese liegen der Untersuchung der Lehrbücher zu Grunde. An den meisten Universitäten im englischsprachigen, aber auch im deutschsprachigen Raum werden nur zwei Bücher verwendet: „Grundzüge der Mikroökonomik“ von Hal Valerian, der neben seiner Lehrtätigkeit auch Chefökonom von Google ist, und „Mikroökonomie“ der mittlerweile über 70 Jahre alten US-Ökonomen Robert Pindyck und Daniel Rubinfeld. Detailreich werden beide Standardwerke auf ihre Grundaussagen geprüft, aber auch die wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen der Autoren beleuchtet. Das Fazit: Beide Werke sind strikt dem neoliberalen, mathematisch ausgerichteten Denkgebäude verhaftet, pluralistische Ansätze werden kaum bis gar nicht zur Diskussion gestellt. Peukert geht noch weiter, wenn er vielen Passagen der Werke Unwissenschaftlichkeit vorwirft, in denen die „Kunst der Rhetorik“ (S. 315) vor Plausibilität gehe.

Die Studie gibt einen ausgezeichneten Analyseraster, der etwa auch für Schulbücher in etwas vereinfachter Form, angewendet werden könnte. Aufschlussreich sind auch die Ausführungen über das Funktionieren der monopolistischen Lehrbuchmärkte, die mit freier Wahl der Lehrenden wenig zu tun haben. Der Band schließt mit Vorschlägen für eine pluralistische Mikroökonomik, der es darum geht, unterschiedliche Denkansätze transparent und damit auch diskutierbar zu machen.