Eine intakte Demokratie muss allen BürgerInnen ihre Meinung zugestehen. Der Journalist Volker Kitz präsentiert zwölf Thesen, wie Meinungsfreiheit in einer Demokratie geht und warum sie unerlässlich ist. Während der Autor für den gelassenen Umgang mit anderen Meinungen plädiert, stellt er klar, dass Meinungsfreiheit keine Tatsachenfreiheit ist. DemokratInnen verteidigen die Wahrheit gegen Lügen, und sie machen einen Unterschied zwischen Tatsachen und Meinungen.
Das ist das Grundgerüst, auf dem Kitz seine Thesen stützt. Denn wenn es nicht um Tatsachen oder Wahrheiten geht, sondern um Meinungen, sind diese in einer Demokratie unbedingt zu schützen. Jemand hat eine Meinung zu einem Thema, von dem er keine Ahnung hat? Völlig legitim – auch eine wertlose, grundlose, uninformierte Meinung darf geäußert werden: „Reden wir nicht drum herum: Nach dem Grundgesetz kann jeder Blödsinn eine geschützte Meinung sein“ (S. 25). Zur Meinungsfreiheit gehört es auch, dass unliebsame Gefühle wie Hass offen geäußert werden dürfen: Man darf jemanden hassen – aber das impliziert nicht, dass man jemanden schlecht behandeln darf, wie etwa in Gleichbehandlungsgesetzen festgelegt wird. Das impliziert gleichzeitig aber auch, dass es eine freie Gegenrede geben muss: „Jeder darf seine Meinung äußern, aber niemand hat das Recht, unwidersprochen zu bleiben. Wer heftig und unangenehm meint, muss heftigen, unangenehmen Widerspruch ertragen“ (S. 36).
Meinungsfreiheit und Medienfreiheit
Zur Meinungsfreiheit gehört auch die Medienfreiheit. Dem Wort „Lügenpresse“ kann Kitz nichts abgewinnen. Zwar machen auch JournalistInnen Fehler, so wie alle anderen Berufsgruppen, aber: „Kurioserweise zeigen die ‚Lügenpresse‘-Rufer meist nicht einmal auf echte Fehler (...). Die meisten stören sich daran, dass sie ihre eigene Meinung nicht oft genug in der Zeitung lesen, im Radio hören, im Fernsehen sehen. (...) Die Meinungsfreiheit gibt mir das Recht, meine Meinung zu äußern – nicht aber darauf, dass jede Zeitung sie berücksichtigt.“ (S. 50) Doch natürlich dürfen JournalistInnen für ihre Arbeit kritisiert werden, ohne dass gleich ein Angriff auf die Pressefreiheit vorliegt.
Kitz scheut sich auch nicht, Finger auf offene Wunden zu legen: Ist das Ziel einer Diskussion wirklich, andere Argumente zuzulassen und gegebenenfalls die eigene Meinung zu ändern – oder doch eher, die eigene Meinung durchzuboxen? Die Sozialpsychologie verweist auf Letzteres, da jede noch so rational begründete Meinung auf Emotionen beruht. Der Autor lässt uns keine Illusionen: „Die Diskussion gilt als Königsweg der demokratischen Gesellschaft. Doch wir überschätzen sie maßlos.“ (S. 59) Viel wichtiger ist es, für eine lebendige Demokratie unterschiedliche Meinungen zu versöhnen. Das bedeutet Kompromissfähigkeit, die keine Maximalforderungen zulässt. Dazu braucht es Toleranz – und Toleranz ist laut Kitz erst dann Toleranz, wenn man Meinungen oder Verhaltensweisen zulässt, die auch im krassen Gegensatz zur eigenen stehen.
Die Grenzen der Meinungsfreiheit
Meinungsfreiheit hat freilich auch Grenzen, die von echten DemokratInnen bewacht werden. Nicht nur körperliche Integrität, auch die persönliche Ehre und die Grundfesten des Staates stehen nicht zur Disposition. Hier reicht das geltende Strafrecht aus – Verhetzung, Verleumdung, Beleidigung sind strafbare Delikte, online wie offline. Doch jemanden eine Meinung vorzuschreiben, wie es die gut gemeinten Aufrufe tun, nicht AfD zu wählen, sind laut Kitz zum Scheitern verurteilt: „Glauben Sie, ein einziger potentieller AfD-Wähler hat seine Entscheidung geändert, weil andere sie ihm abnehmen wollten? Ich habe viele Kommentare zu den Aufrufen durchgesehen. Einer der häufigsten lautete: ‚Jetzt erst recht!‘“ (S. 92). Anstelle jemanden die Meinung madig zu machen, sollte man ein Vorbild sein; sich anständig verhalten und nicht jede verbale Unappetitlichkeit kommentieren und damit zur Wichtigkeit verhelfen.
Die letzte Empfehlung des Autors für eine gesunde Demokratie ist, sich mit möglichst vielen andersdenkenden Menschen auseinanderzusetzen und die eigene Filterblase zu verlassen. Die persönliche Begegnung lässt das Gegenüber menschlich werden und die unwahrscheinlichsten Beziehungen entstehen: „Ein Demokrat geht nicht immer nur in die Luft, sondern auch mal an die Luft. Er sucht Zufall und Überraschung, denn sie haben Zauberkraft“ (S. 107).