Andreas Zumach gilt als einer der wohl besten Kenner der internationalen Politik. Seit 1988 arbeitet er als UNO-Korrespondent mit Sitz in Genf für die Berliner tageszeitung (taz), die Zürcher Wochenzeitung (WOZ), die Presse in Wien sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Nach "Die kommenden Kriege" (2005) beschäftigt sich Zumach in seinem neuen Buch "Globales Chaos - Machtlose UNO" mit den aktuellen Konfliktherden sowie den Kriegen der vergangenen Jahrzehnte und der Rolle, die die Vereinten Nationen darin spielten. Doch "die UNO" als eigenständig handelndes Subjekt gäbe es nicht, stellt der Experte gleich zu Beginn klar. Diese sei vielmehr "ein kompliziertes Netzwerk von inzwischen 193 souveränen Nationalstaaten mit oftmals sehr unterschiedlichen Interessen" (S. 11). Dieser Satz sei banal, müsse aber immer wieder in Erinnerung gerufen werden, weil in der Öffentlichkeit meist von pauschalem Versagen der Weltorganisation gesprochen werde.
Gemessen an dem in der Gründungscharta von 1945 formulierten Hauptziel, "künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren", seien die 193 Mitgliedstaaten der UNO gescheitert. Über 260 bewaffnete Konflikte zählt der Experte in den letzten sieben Jahrzehnten seit Gründung der Weltorganisation. Doch ohne die UNO und ihre Bemühungen zur Beilegung gewaltsamer Auseinandersetzungen hätten viele dieser Konflikte noch länger gedauert und noch mehr Tote und Verwundete gefordert. Zumachs klare Ansage: "Eine Auflösung der UNO würde den Rückfall in die Barbarei weitgehend ungeregelter zwischenstaatlicher Beziehungen bedeuten." (S. 12)
In seinem Buch rekonstruiert der Journalist gewaltsam ausgetragene Konflikte der letzten Jahrzehnte von den Ölkriegen gegen den Irak über die Sezessionskriege in Jugoslawien bis herauf zu den aktuellen Kriegen in Syrien und in der Ukraine. Ein eigener Abschnitt ist dem Konflikt zwischen Israel und Palästina gewidmet, der seit dem gescheiterten UN-Teilungsplans von 1947 schwelt und seit der Zerstörung von 18.000 Wohnhäusern im von 1,5 Millionen Palästinensern bewohnten Gazastreifen im Sommer 2014 durch die israelische Luftwaffe eine erneute Zuspitzung erfahren hat.
Problem der Stellvertreterkonflikte
Zumach macht in seinen Analysen deutlich, dass nach wie vor geostrategische Interessen insbesondere der im UN-Sicherheitsrat vertretenen sogenannten "Veto-Mächte" vor das Ziel, Kriege zu beenden und Blutvergießen zu verhindern, gereiht werden. Die Blockadehaltung von Russland und China im Syrienkonflikt sieht der Autor u. a. im Zusammenhang mit deren negativer Erfahrung bei der Enthaltung zu einer UN-Resolution für eine Flugsicherheitszone in Libyen, die von den USA, Frankreich und Großbritannien zu einem Krieg gegen das Gaddafi-Regime missbraucht worden sei. Den Ukrainekonflikt sowie die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland verortet Zumach im Kontext der permanenten NATO-Osterweiterung sowie dem Kosovokrieg.
Aufschlussreich sind nicht zuletzt die Ausführungen über den wachsenden Einfluss von Konzernen auf die UNO im Kontext des "Global Compact" als Vertrag mit transnationalen Unternehmen, die auf Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung das UNO-Logo im Firmenauftritt verwenden dürfen, dafür aber erfolgreich die Festlegung verbindlicher Standards für TNCs (TransNational Concerns) verhindert haben. Mit der von der UNO eingesetzten Stieglitz-Kommission, ein aus ExpertInnen aus Nord und Süd bestehendes Gremium unter Vorsitz des kritischen US-Ökonomen, wurde versucht, im Zuge der Finanzkrise wirtschaftspolitische Kompetenz zu zeigen - die Gruppe hatte u. a. eine internationale Ankerwährung unabhängig vom Dollar vorgeschlagen; die Ergebnisse stießen zwar bei vielen Ländern des Südens und auch den Schwellenländern auf großes Interesse, konnten aber bislang lediglich, wie Zumach betont, mediale Wirkung entfalten.
"Globales Chaos - machtlose UNO" ist ein lehrreiches Buch, das zeigt, wie weit wir von wirklicher globaler Governance sowie dem Abschied von für die Bevölkerungen der betroffenen Länder fatalen Stellvertreterkriegen entfernt sind. Offensichtlich kommt erst Bewegung in festgefahrene Konfliktsituationen, wenn reiche Staaten wie im Falle der Flüchtlingsbewegungen nach Europa in diesem Jahr unmittelbar tangiert werden.
Andreas Zumach war am 11. 12. 2015 in der Reihe "Zukunftsbuch" zu Gast in der JBZ, wo er auch auf den angemessenen Umgang mit dem IS einging.
Hans Holzinger
Zumach, Andreas: Globales Chaos - machtlose UNO. Ist die Weltorganisation überflüssig geworden? Zürich: Rotpunkt, 2015. 263 S., € 22,- [D], 22,80 [A] ISBN 978-3-85869-644-1
„Die UNO als ein eigenständig handlungsfähiges Subjekt existiert nicht, sondern die UNO ist ein kompliziertes Netzwerk von inzwischen 193 souveränen Nationalstaaten mit oftmals sehr unterschiedlichen Interessen.“ (Zumach S. 11)
„Die konsequente Weiterverfolgung der Strategie einer die Weltregionen übergreifenden Koalition williger Multilateralisten, die zur Bewältigung der globalen Herausforderungen auf das kollektive System der UNO setzen – das wäre die Alternative zu dem gefährlichen Versuch, eine neue, militärisch def9nierte multipolare Machtbalance oder gar nur eine bipolare Weltordnung der G-2 (USA und China) zu errichten.“ (Zumach S. 14)