Lieben Leisten Hoffen

Ausgabe: 2009 | 1

Das Buch ‚Lieben Leisten Hoffen’ hält was der Untertitel verspricht: es gibt Einblick in die Wertewelt junger Menschen in Österreich. Die AutorInnen stellen auf etwas über 300 Seiten die Ergebnisse einer Jugendlichen-Befragung aus dem Jahr 2006 vor, und sie tun dies in durchgängig eingängiger und verständlicher Sprache. Wo immer es sinnvoll ist, sind die im Text referierten Ergebnisse auch in Grafiken (insgesamt 68) und Tabellen (insgesamt 20) dargestellt.

 

Die Befragung erreichte für die österreichischen Jugendlichen insgesamt repräsentatives Niveau. Für zwei relevante gesellschaftliche Untergruppen – junge MigrantInnen mit und ohne muslimische Religionszugehörigkeit – wurde zwar keine Repräsentativität erreicht, der interessante qualitative Vergleich der Befragungsergebnisse der drei Gruppen war dennoch möglich. Zu Themenbereichen in denen es zu unerwarteten Ergebnissen kam oder das Verständnis der quantitativen Ergebnisse vertieft werden sollte, wurden außerdem zwischen November 2006 und Mai 2007 fünf Fokusgruppen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchgeführt.

 

Die AutorInnen berichten die zentralen Befragungsergebnisse zunächst in drei Themenblöcken: In ‚Lebensräume: Wo sich Jugendliche aufhalten’ geht es um Einschätzungen und Werthaltungen zu Sozialräumen. Wie wichtig ist Jugendlichen ihre Familie, wie wichtig sind Freunde? Welche Bedeutung hat Freizeit für sie? Was erhoffen sie sich von ihrem Berufsleben? Im zweiten Themenblock ‚Lebensbilder: Zusammenleben in der Gesellschaft’ wird das Verhältnis der Jugendlichen zu Politik, zu geschlechtsbezogenen Rollenbildern, zu Solidarität, Individualismus und Fremdenfeindlichkeit angesprochen. In ‚Lebenshorizonte: Religion und Ethik’ wird schließlich gefragt, welche Rolle der praktizierte Glaube, Spiritualität, Ethik und mit Religion verbundene Werthaltungen für Österreichs Jugendliche heute spielen.

 

Die eigentliche Interpretationsarbeit gehen die Autoren dann in zwei weiteren Kapiteln an: In ‚Jugendliche und ihre Werte: Querverbindungen und Verdichtungen’ werden die einzelnen Befragungs-ergebnisse zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Hierfür wurden zum einen Erkenntnisse anderer Wertestudien – z.B. die Shell-Jugendstudien – herangezogen und zum anderen zu den Befragungsergebnissen eine Faktorenanalyse und Clusteranalyse durchgeführt. Dadurch war es den AutorInnen möglich, aussagekräftige Wertedimensionen zu identifizieren, d.h. jene Dimensionen, in denen sich die Jugendlichen unterscheiden. Und es gelang Typologien zu bilden, d.h. Gruppen, die sich durch ein typisches Wertmuster von anderen unterscheiden. Davon gibt es laut den Autoren sechs: die „Unentschiedenen OptimistInnen“, die „Egozentrischen HedonistInnen“, die „Resignierten SkeptikerInnen“, die „Feizeitorientierten HedonistInnen“, die „Leistungsorientierten IdealistInnen“ sowie die „Prosozialen PragmatikerInnen“.

 

Im letzten Kapitel wird schließlich der Blick nach vorne gerichtet. In ‚Trends, Perspektiven und Handlungsoptionen’ greifen die AutorInnen auch auf Daten ähnlicher Wertestudien aus den Jahren 1990/1991 sowie 1999/2000 zurück und können so Veränderungen im Zeitablauf interpretieren. „1990 bis 2006: Vom Experimentieren zur Anpassung“ und „Lieben, leisten, hoffen als Reaktion auf Verunsicherung“ sind beispielsweise die aussagekräftigen Titel zweier Abschnitte in diesem Kapitel.

 

Insgesamt ist es sehr erfreulich, dass die Autorinnen und Autoren nicht nur Zahlenkolonnen referieren, sondern tatsächlich ein Gefühl davon vermitteln, was es heißt, heute als Jugendlicher oder Jugendliche in Österreich heranzuwachsen. Sie arbeiten durchweg daran, eine ganzheitliche und zusammenhängende Wertewelt von Jugendlichen zu zeichnen. Dabei werden zwangsläufig auch die Spannungen, Brüche und Widersprüche in den Wertvorstellungen Jugendlicher deutlich: Religion ja, Gott eher nein. Leistung ja, aber ohne Garantie, dass Leistung zu Erfolg führt… Die Veränderungsprozesse in unserer Gesellschaft und die  widersprüchlichen Anforderungen, die sich daraus an den Einzelnen oder die Einzelne ergeben machen auch nicht vor der Wertewelt Jugendlicher halt. Sollen sie vermutlich auch nicht – denn Widersprüche aushalten, reflektieren und sie positiv für die eigene Persönlichkeitsentwicklung wenden zu können, dürfte in Zukunft eine entscheidende Fähigkeit für (Österreichs) Jugendliche sein.

 

Die Widersprüchlichkeiten, die die Befragung zu Tage gefördert hat, könnten allerdings zum Teil auch andere Gründe haben: Weder die Fragenauswahl, noch die Interpretation der Ergebnisse scheint theoriebezogen erfolgt zu sein. Dies ist bei der Erstellung des Fragenkatalogs auch nachvollziehbar, schließlich neigen Theorien dazu, nur einen speziellen Teilbereich der Wirklichkeit erklären oder verstehen zu wollen und das Ziel der Studie war ja eine ganzheitliche Betrachtungsweise der Wertewelt Jugendlicher. Der fehlende Theoriebezug holt die AutorInnen jedoch bei der Interpretation der Ergebnisse wieder ein. Diese muss – mangels eines einheitlichen Deutungshorizontes – anderweitig erfolgen. Entweder durch ad hoc-Hypothesen, mal mit dieser oder jener Theorie, oder aufgrund der subjektiven Einschätzung des Forschers bzw. der Forscherin. In den religionsbezogenen Kapiteln kommt dies besonders deutlich zum Ausdruck. Mangels eines einheitlichen Bezugsrahmens scheinen es hier an verschiedenen Stellen die persönlichen Präferenzen der Autorin zu sein, die ein Umfrageergebnis als problematisch oder wünschenswert erscheinen lassen. Die Einschätzungen der AutorInnen müssen deshalb nicht unbedingt falsch sein – angesichts der hohen Fachexpertise ist vom Gegenteil auszugehen. Eine theoriebezogene Interpretation hätte die Perspektive, mit der die Ergebnisse gedeutet werden, jedoch nachvollziehbarer und vielleicht auch weniger beliebig gemacht. Gleichwohl: Lieben, Leisten, Hoffen ist ein methodisch und sprachlich sehr gelungenes Buch über eine sehr interessante Studie. Wir benötigen mehr davon. E. Sch.

 

Lieben Leisten Hoffen. Die Wertewelt junger Menschen in Österreich. Hrsg. v. Christian Friesl (...) Czernin Verlag, Wien 2008. 328 S., € 20,- [D], 20,60 [A], sFr 35,-, ISBN: 9783707602593