Ungleichheit kennt viele Facetten. Im Sammelband „Leistung und Gerechtigkeit“ (herausgegeben von Brigitte Aulenbacher u. a.) findet sich ein spannender Text von Kerstin Rieder, der einen dieser Aspekte betrifft. Rieder untersucht neue Formen der Ungleichheit durch das Outsourcen von Arbeit an Kundinnen und Kunden.
Da waren zuerst Tankstellen ohne Personal, dann Möbel, die man selbst zusammenbaut, Geldabheben ohne Bankfiliale, Reisebuchung und Abstimmung von Flug und Hotel ohne Reisebüro, Selbstföhnen beim Friseur, dann Kassen, bei denen man den Einkauf selbst scannt und Bestellsäulen bei McDonalds, bei denen man seine Wünsche allein eingibt. All das sind Rationalisierungen, bei denen KundInnen arbeiten und Tätigkeiten von ArbeitnehmerInnen ersetzen. Rieder nennt diese Tätigkeiten „gesellschaftlich neue Formen der Nichterwerbsarbeit“. Sie hat die Bedeutung dieses Phänomens genauer unter die Lupe genommen und auf ihre Auswirkung auf die Gesellschaft befragt. Ihrer Meinung nach entstehen durch den Trend zu arbeitenden KundInnen neue Formen der sozialen Ungleichheit.
Das Beispiel der Selbt-Check-Out-Kassen
Rieder sieht sich die Arbeitsbedingungen an den Selbst-Check-Out-Kassen an. Anerkennung ist dort jedenfalls für die Arbeit nicht zu ernten. „…im Gegenteil kommt es eher zu negativem Feedback, wenn KundInnen nicht schnell genug sind“ (S. 345) Andererseits gibt es Tätigkeiten als KundIn, die sehr wohl zu Anerkennung führen. Da wäre zum Beispiel die Entwicklung neuer Produktideen für Lego („lego-ideas“): Wer den besten breit unterstützen Vorschlag macht, welche neue Lego-Welt angeboten werden soll, kann mit Prestige und auch Geld rechnen. „Die in der Rolle der KundIn erbrachten Leistungen eröffnen somit in unterschiedlichem Ausmaß Zugang zu Anerkennung.” Nach dem Zugang zu Anerkennung beschäftigt sich Rieder mit dem Zugang zu Waren. Diese werden günstiger, wenn man zur Mitarbeit (Selbstbedienung) bereit ist. Fehlt diese, bleiben Produkte teurer.
Wichtig ist weiters, dass die möglichen wirtschaftlichen Vorteile der arbeitenden KundInnen geringer sind, als die Entlohnung der Personen war, die bisher diese Tätigkeiten durchführten. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass solche Beteiligungsformen angeboten werden. „In vielen Bereichen ersetzen arbeitende KundInnen zudem die regulären MitarbeiterInnen offenbar recht problemlos.“ (S. 349) Der Anteil derer, die wenig oder nichts verdienen, wird größer, während der Anteil derer, welche mit ihrer Arbeit einen guten Verdienst erzielen können, schrumpft. Man denke etwa an Fotoagenturen, die private Aufnahmen gegen niedrige Rendite vertreiben.
Ein Buch voller Erkenntnisse
Der Band enthält insgesamt 19 Beiträge, die Spannbreite reicht von „Zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit. Stehen die Ideen von Aufklärung und Revolution im Neoliberalismus zur Disposition?“ von Cornelia Klinger bis zu praktischen Überlegungen zur „Arbeit von Sekretärinnen. Leistungszuschreibung und Anerkennung von Assistenzarbeit im öffentlichen Dienst“ (Jule Westerheide und Frank Kleemann). Ein lesenswerter Band voller kleiner und großer Erkenntnisse, auf die man alleine nie gekommen wäre. Stefan Wally
Leistung und Gerechtigkeit. Das umstrittene Versprechen des Kapitalismus. Hrsg. v. Brigitte Aulenbacher ... Weinheim, Basel: Beltz, 2017. 381 S., € 24,95 [D], 25,70 [A] ; ISBN 978-3-7799-3051-8