Timothy Snyder

Über Tyrannei

Ausgabe: 2018 | 3
Über Tyrannei

Der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder hat einen schmalen Band „Über Tyrannei“ geschrieben – und wie man der staatlichen Gewalt Widerstand leistet. Der Autor bietet 20 Lektionen an, die allesamt auf historische Beispiele zurückgreifen, aber Lehren für aktuelle politische Entwicklungen in den USA und Europa beinhalten – und vor allem Handlungsanleitungen zum Widerstand.

Snyder verweist darauf, dass die Bedingungen, an denen die europäischen Demokratien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts scheiterten, sich jederzeit wiederholen können bzw. gerade dabei sind, sich zu wiederholen: das Leugnen von objektiven Wahrheiten hat wieder Konjunktur, ebenso wie tatsächliche oder vermeintliche Ungleichheiten im Kontext der Globalisierung.

Tatsächlich ist Demokratie nie garantiert, sondern muss aktiv beschützt und bewahrt werden, primär vor vorauseilendem Gehorsam gegenüber politischen Autoritäten. Eine wichtige Rolle spielen dabei Institutionen, die entschieden verteidigt werden müssen, genauso wie das Mehrparteien-System. Neben einem gesunden politischen Wettbewerb braucht es aber auch persönlichen Einsatz, um der Tyrannei zu widerstehen. Dies beginnt im Kleinen, in einer „Politik des Alltags“ – etwa, dass man Hassbotschaften und -symbole aus dem öffentlichen Raum entfernt oder öffentlichen anti-demokratischen Parolen keine Bühne bietet. Gewaltausübung soll dem Staat direkt unterstehen: Snyder diagnostiziert den sich immer stärker verbreiteten Einsatz von privatisierten Gefängnissen, Söldnern und privaten Sicherheitsdiensten als einen ersten Schritt zu paramilitärischen Gruppierungen, welche jede Demokratie bedrohen. Zentral ist das Nein im richtigen Moment: Ob RichterInnen oder BeamtInnen, ob PolizistInnen oder SoldatInnen – undemokratische Regime haben sich immer auf deren Willfährigkeit verlassen.

Elemente der Tyrannei

Ein offenkundiges Element der Tyrannei ist die „offene Feindseligkeit gegenüber der verifizierbaren Wirklichkeit, und sie äußert sich dergestalt, dass man Erfindungen und Lügen präsentiert, als ob es sich um Fakten handelte“ (S. 66). Diesen Verdrehungen muss man aktiv entgegentreten – denn „[n]ach der Wahrheit ist vor dem Faschismus“ (S. 71). Hier nimmt Snyder den Journalismus in die Pflicht, aber auch die BürgerInnen, die einen kritischen Umgang vor allem mit dem Internet und dem Boulevard entwickeln müssen. Überhaupt die BürgerInnen: Zivilgesellschaftliches Engagement – sei es organisiert oder auf zwischenmenschlicher Ebene gegenüber Diskriminierten und Verfolgten – aber auch ein Privatleben, auf das der Staat keinen Zugriff hat, unterminieren totalitäre Machtstrategien. Dazu braucht es Patriotismus ohne Nationalismus: Wer sein Land liebt, möchte, dass es sich von seiner „besten Seite“ zeigt, im Kontext von weltweit geltenden Werten (vgl. S. 114).

Das Buch endet mit einem Plädoyer gegen eine „Politik der Unausweichlichkeit“ – gegen die vermeintlichen Sachzwänge, die autoritäre Regierungen scheinbar nötig machen. Der Kampf gegen den Terror ist das beste Beispiel dafür. Snyder ist sicher: Es gibt immer demokratische Alternativen.