Leitkonzept für eine Wissensordnung

Ausgabe: 1994 | 4

Dass wir uns immer rascher in ein Zeitalter des technisierten Wissens und der wissensbasierten Techniken bewegen, ist unter dem Begriff ,,Informationsgesellschaft" heutzutage ein Gemeinplatz. Trotzdem steckt die gesellschaftliche Ordnung des Wissens neben den schon lange etablierten anderen Grundordnungen des Rechts (de jure) und der Wirtschaft (de facto) noch immer in den Kinderschuhen, obwohl hier entscheidende Entwicklungen im Überschneidungsbereich von Wissen und Technik zusammenlaufen und viele aktuelle Probleme ihren Ort haben: etwa von den Meinungs-, Glaubens-, Wissensfreiheiten und Informationsrechten über Fragen der Verantwortung für Folgen von Wissenschaft und Technik bis zum Datenschutz und Trends zu neuen Eigentumsformen an Ideen oder an der Biologie biotechnisch hergestellter Organismen.

Mit dem vorliegenden Band beginnt eine neue Buchreihe im Leske + Budrich Verlag, die sich als Forum für die Entwicklung einer "Wissensordnung" als dritter Grundordnung hochindustrialisierter Gesellschaften versteht. Der Autor, Professor und Leiter des studium generale an der Universität Karlsruhe, legt einen umfassenden und bereits hochdifferenzierten Problemaufriss vor. Das erste Kapitel beschreibt die Grundlagen: es geht dabei um nichts weniger als die Ordnung von "Wissen aller Arten, in jeder Menge und Güte", seine Erzeugung, Verarbeitung, Nutzung u.a.m. Fundamentale Ordnungsparameter dafür sind Haben (Besitz/Recht), Wollen (Interesse/Gesellschaft), Handeln (Handlungsbezug/Alltag) und Können (Macht/Politik).

Die weiteren Kapitel befassen sich mit dem Aufkommen der Wissenstechniken und ihren Folgen, der Lage des Wissensfeldes im Informationszeitalter und der Transformation von der Klassischen Wissensordnung zur „Neuen Wissensordnung", für die Spinner insgesamt acht Bereiche ansetzt. Diese reichen von der akademischen Wissensordnung für Forschung und Lehre, die archivarisch-bibliothekarische und verfassungsrechtliche bis hin zur technologischen, bürokratischen und militärisch-polizeilichen für sicherheitsrelevantes Sonderwissen für den innerstaatlichen bzw. grenzüberschreitenden Informationsfluss. Eine Wissensordnung wird auch Qualitätszonen, Schutzzonen und Verbreitungszonen zu definieren und zu gewährleisten haben. Ein umfangreicher Problemkatalog und wissensordnungsbezogener Forschungsbericht für EinzeIdisziplinen von Philosophie über Geschichte, Soziologie, Publizistik und Ethik bis zur Biologie sowie ein angesichts der innovatorischen Thematik besonders wichtiges detailliertes Personen- und Sachregister ergänzen den Band.

Diese Buchreihe ist eine angesichts der sich abzeichnenden Gefahren der Vereinnahmung von Wissen durch Sonderinteressen (wie etwa dem militärisch-industriellen Komplex oder von Unternehmen der Biotechnik- oder der Kommunikationsindustrie) außerordentlich wichtige Initiative. Es ist ihr sowohl die Wahrnehmung durch die Verantwortlichen zu wünschen, als auch dass sie das eminente Niveau des vorliegenden ersten Bandes auch künftig halten kann.

W R. 

Spinner, Helmut F: Die Wissensordnung. Ein Leitkonzept für die dritte Grundordnung des Informationszeitalters. Opladen: Leske + Budrich, 1994. 273 S. (Studien zur Wissensordnung, 1), DM 29,80 / sFr 27,40 / ÖS 233