Der italienische Moralphilosoph Dario Gentili vereint auf 150 Seiten vielerlei Perspektiven auf ein höchst aktuelles Thema. Die das Buch prägende Definition zum „Dispositiv“ orientiert sich dabei an Foucault: Demnach wäre Krise als neoliberales Herrschaftsinstrument zu verstehen, durch das eine Welt der Dauerkrise im Modus der Erhaltung der alten Ordnung manifestiert wird. Der „Ausnahmezustand” der Krise und deren postulierte Alternativlosigkeit verschmelzen zu einem wie füreinander geschaffenen Traumpaar. Ihre Kinder sind dem Dispositiv eingeschriebene politische Entscheidungen, die die nächste Krise bedingen.
Medizinischer Logik folgend wäre eine echte Alternative – eine Letztentscheidung für etwas Neues – immer der Tod. Die eine (!) Partei des Lebens hat nur mehr die Aufgabe, „ein existenziell dominantes Problem zu lösen und eine tödliche Gefahr abzuwenden” (Antonio Gramsci, S. 108). Damit hat sich eine Regierungskunst durchgesetzt, die dem neoliberalen Vordenker Friedrich August von Hayek folgt. Dieser lehnte von Menschen gestaltete, alternative und offene Zukünfte ab. Die Komplexität des „Kosmos” sei viel zu hoch – das Individuum solle vielmehr staunend lernen, wie es dem Markt maximal von Nutzen sein kann, so von Hayek.
Krisen im Dispositiv der Krise zu besprechen ist zum Scheitern verurteilt. Der Autor setzt dem einen neuen Kosmos der Alternativen entgegen, der wieder mit der politischen Ordnung der Polis zu verbinden wäre. Die Freiheit des „eigenen” Kosmos allein wäre in diesem Sinne eine hedonistische Selbstgeißelung, die ohne Rückbesinnung auf das politische Miteinander jeden Wert verliert. Der Autor greift auf Versatzstücke von u. a. Marx, Koselleck, Benjamin oder Deleuze zurück und entwickelt daraus seine Argumentation: Nur „Kritik bringt eine der herrschenden Macht äußerliche Position hervor” (S. 90). Gentili plädiert für eine politische Lebensform, in der Konflikte zwischen uns, darum, wie wir entscheiden, in den Vordergrund rücken.
So schließt Krise als Regierungskunst durchaus hoffnungsvoll. Dabei verlor das recht assoziativ geschriebene Buch erst an Zähigkeit, als im Hauptteil die Fäden der verschiedenen Ansätze und historischen Rückblicke mit einer Schärfe zusammenlaufen, die nachhaltig beeindrucken. Zum Schluss bleibt nur mehr eine Frage: Wie werden wir nun zu diesen Kritikern des neoliberalen Konstrukts?