Konflikte um & Widerstand gegen technische Großprojekte

Ausgabe: 1988 | 4

An vier konkreten Beispielen untersuchen zwei Historiker und zwei Politikwissenschaftler Formen des Widerstands gegen großtechnische Anlagen in Deutschland. Ausmaß, Ausdruck und Erfolg der "Betroffenheit" unterscheiden sich von Mal zu Mal, und doch läßt der Vergleich auch zusammenfassende Rückschlüsse auf einen Wandel des Verständnisses von Technik, Staat und Natur zu. Romantisch begründete Heimatverbundenheit näherte bereits zu Ende des vergangenen Jahrhunderts den Einwand gegen das Flußkraftwerk Laufenburg, das, erbaut zwischen 1908 und 1914, die Zerstörung der als "Naturwunder" geltenden Stromschnellen am Hochrhein zur Folge hatte. Nur mit Einschränkungen realisiert wurde hingegen das Druckkraftwerk Walchensee in Oberbayern. Dem Atomkraftwerk Whyl, seit 1972 geplant und bis heute nicht gebaut, und schließlich der Auseinandersetzung um die WAA Wackersdorf gelten die weiteren Fallstudien. Ein abschließendes Kapitel zieht Bilanz und bietet in Form von zehn Thesen eine klärende Einschätzung der jeweiligen Besonderheiten der Projekte, der Protestverläufe und -strategien sowie der Bedeutung der Konflikte. Der Weg des Staates vom neutralen Schiedsrichter zum parteiischen Akteur, der Wandel von vereinzelter, regional gebundener Opposition zum umfassenden Widerstand und die Verschiebung der Argumentationsmuster charakterisieren die Autoren folgendermaßen: "Der dramatische Wandel der Protestformen vom Kaiserreich zur Bundesrepublik bringt ein verändertes Rollenverständnis und eine andere politische Kultur zum Ausdruck: Aus Untertanen sind Aktivbürger geworden."

Widerstand gegen Technik im allgemeinen und großtechnische Projekte im Besonderen sind vermutlich so alt wie diese selbst. Fortschrittsglaube und -euphorie auf der einen, Skepsis und Ablehnung auf der anderen Seite markieren die Positionen in der Auseinandersetzung um die Folgen unseres naturwissenschaftlichen Weltverständnisses. Die Facetten dieses Konflikts nachzuzeichnen ist ein wesentlicher Beitrag zu einer Soziologie der Technik. Mehr noch als bloß Gegenstand wissenschaftlichen Interesses zu sein, kann sie Hinweise für erfolgreiches politisches Handeln geben.

Von der Bittschrift zur Platzbesetzung. Konflikte um technische Großprojekte. Unter Mitarbeit v. Ulrich Linse u.a. Berlin (u.a.): Dietz, 1988, 299S. DM 36,-/sfr 30,50/öS 280,80