Sandra Hofmeister (Hg.)

København

Ausgabe: 2021 | 4
København

Die Stadtregierung von Kopenhagen hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: als erste Hauptstadt weltweit soll Kopenhagen bis 2025 CO2-neutral werden. Bekannt ist die Hafenstadt nicht zuletzt durch seine Fahrradfreundlichkeit. 63 Prozent aller Stadtbewohner:innen nutzen das Rad für den Weg zum Arbeitsplatz, zur Schule oder zum Ausbildungsort. Vier von fünf Haushalten besitzen Fahrräder. Auf jedes Auto kommen in Kopenhagen 5,6 Räder – Tendenz weiter steigend. Die großzügigen Radwege in der Stadt sowie die mehrspurigen Radstraßen für Pendler:innen aus dem Umland machen Kopenhagen in der Tat zur Fahrradhauptstadt. (S. 84)

„Stadt für die Menschen“

Dass Kopenhagen auch im Bereich der Architektur dem Motto „Stadt für die Menschen“ verpflichtet ist, zeigt der von Sandra Hofmeister herausgegebene Band København. Urbane Architektur und öffentliche Räume. Vorgestellt werden darin häufig multifunktionale Gebäude für gemeinnützige Zwecke: Bildungs- und Kulturhäuser, Schulen, Jugend- und Stadtteilzentren, innovative Wohnanlagen sowie öffentliche Plätze, die von Autos befreit und den Stadtbewohner:innen zurückgegeben wurden. Die porträtierten Objekte beeindrucken durch architektonische Ästhetik – Formen und Farben werden gezielt eingesetzt – ebenso wie durch ihre Funktionalität und einer dem Ziel der Klimaneutralität entsprechenden nachhaltigen Bau- und Nutzungsweise. Auffallend ist der große Wert, den die Stadt auf die Qualität öffentlicher Räume, etwa durch neue Platzgestaltungen und Treppenbauten („Stufen als Treffpunkt“, S. 55), sowie auf Freizeitanlagen legt, wie die neu geschaffenen Freibäder und Badestrände in Hafenarealen illustrieren:  seit den 1980er-Jahren ist das Meer wieder zum Baden geeignet.

Als ehemaliger Industriestandort mit großen Hafenanlagen stand Kopenhagen vor der Herausforderung, die Transformation zum Dienstleistungszentrum baulich zu bewältigen. Die Stadtplanung nahm dies  als Chance an, die freiwerdenden Areale in hochwertiger Lage neuen Nutzungen zuzuführen. Neubauten ergänzen dabei alte Bausubstanz. Interessant ist der Finanzierungsmodus. Die Planungsgesellschaft der Stadt schreibt Projekte und Grundstücke aus, die an Architektur- und Planungsbüros mit Auflagen vergeben werden – ökologische Kriterien spielen hier ebenso eine Rolle wie die Beteiligung der Anwohner:innen in der Entwicklung und Umsetzung der Bauvorhaben. Mit dem Verkauf von Grundstücken werden die nötigen Infrastrukturen wie neue U-Bahntrassen sowie die Gestaltung der öffentlichen Plätze finanziert. Neues Land wird durch Aufschüttungen aus dem Aushub von Tiefbauten gewonnen.

Ansprechende Architektur und öffentlicher Raum

Der Architekturband bietet einen bunten Reigen an Bau- und Infrastrukturprojekten, untergliedert in die Abschnitte „Öffentliche Räume“, „Sport und Freizeit“, „Kultur und Bildung“ sowie „Wohnen“, ergänzt um thematische Essays und Interviews mit Architekt:innen. Nur einige können hier stellvertretend für den Ansatz der „Stadt als Wohnraum“, so Dan Stubbergaard vom Architekturbüro COBE im Gespräch mit Sandra Hofmeister treffend (S. 48), erwähnt werden.

Vorrang gilt in Kopenhagen dem Öffentlich-en Verkehr mit einem hervorragenden, modernen U-Bahnsystem sowie dem Radverkehr: Die auf Stelzen gebauten Radwege und -brücken sind zum neuen Wahrzeichen der Fahrradstadt geworden (S. 83ff.). Ein 2019 fertiggestellter U-Bahnring  mit 17 modernen Haltestellen sowie der neue Bahnhof Norreport (S. 61ff.) sind ebenso eindrucksvoll. Im Entwicklungsgebiet Nordhavn mit dichter Mischnutzung wurden die Parkflächen für das Wohn- und Gewerbegebiet in einem achtstöckigen Parkhaus am Hafen geschaffen, das zugleich zahlreiche Fahrradabstellplätze, einen Supermarkt und eine Recyclingstation – sowie am Dach – einen Skater- und Spielpark mit Ausblick aufs Meer umfasst. In einem „innerstädtischen Unort und Parkplatz“ (S. 37) wurde der „Israels Plad“, der öffentliche Aufenthaltsinseln mit einem von angrenzenden Schulen wie der Bevölkerung genutzten Sportplatz verbindet. Die Autos sind nicht verschwunden, sondern fahren in die darunterliegende Tiefgarage. Dass wohnungsnahe Freizeitangebote von der Stadtplanung besonders bedacht werden, beweist auch das „Aktivitetshus“ als „Treffpunkt für alle Generationen“ (S. 129) mit Jugendzentrum, Café, Gymnastik-, Computer- und Lernräumen. Das Dach des Gebäudes wird auch hier genutzt: für einen Basketballplatz.

Als gelungenes Beispiel der Integration von neuen Wohnbauten in historisches Ambiente gilt der Krøyers Plads im Viertel Christianshavn mit den dominierenden Ziegeldächern der historischen Lagerhallen (S. 251 ff.). Dass Neubauten auch andere Möglichkeiten des Zusammenwohnens ermöglichen, zeigt das Projekt „Lange Eng Cohousing“, in dem Wohneinheiten mit Gemeinschaftseinrichtungen wie einer Gemeinschaftsküche, einer Bibliothek und einem Kino verbunden sind (S. 257ff.) Die Architektin Dorte Mandrup wünscht sich (auch für Kopenhagen) „definitiv viel mehr Gemeinschaftsaktivitäten und gemeinsame Lebensräume“ sowie mehr „Verdichtung im kleinen Maßstab“ (S. 279). Zahlreiche   Kultur- und Bildungszentren werden im Band proträtiert, darunter die neue Stadtbibliothek (S. 146f.) sowie das Open-Air-Ensemble Musiktorvet (S. 77) oder die Copenhagen International School im Stadtteil Nordhavn: Mit 1.200 Schüler:innen aus 80 Nationen und 280 Lehrenden ist sie eine der größten Schulen in der dänischen Hauptstadt. Ihre architektonische Besonderheit: die Außenhülle besteht aus 12000 Photovoltaikpaneelen, die mehr als die Hälfte des Jahresstrombedarfs der Schule decken (S. 162).

Ein äußerst inspirierender Band

Ein äußerst inspirierender, mit zahlreichen Farbbildern versehener Band, der zeigt, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte, wenn eine vorausschauende und nicht allein an kommerziellen Verwertungsinteressen ausgerichtete Stadtplanung am Werk ist. Bleibt die Frage, wie sich Kopenhagen gegen den bevorstehenden Meeresspiegelanstieg wappnen wird. Dafür gibt es wohl auch bereits Pläne.