Anders als die Coronakrise lasse uns der Klimawandel seltsam kalt, obwohl wir in hellster Aufregung sein müssten, so die Journalisten Nick Reimer und Toralf Staud. Als Begründung führen die beiden das Problem der „psychologischen Distanz“ an. Der Klimawandel geht schleichend vor sich und liefert keine täglich neuen Infektionszahlen. Die Klimaforschung trage ihren Teil zu dieser Verdrängungsleistung bei: „Zwar legt sie seit Jahrzehnten immer besorgniserregendere Befunde zur Erderhitzung vor, aber sie tut dies in der ihr eigenen, nüchternen, distanzierten Sprache.“ (S. 9). Mit ihrem Buch Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird wollen die Autoren uns die drohenden Gefährdungen nahebringen – und dies gelingt ihnen, es sei gleich vorweg gesagt – bestens. Sie haben unzählige Forschungsberichte und Studien gesichtet, Tagungen besucht und – wie sie selbst schreiben – mehrere Hunderte Interviews mit Expertinnen und Experten geführt.
In 14 Kapiteln werden die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels vornehmlich auf Deutschland dargelegt. Im ersten Abschnitt geht es um Klimamodelle. Die beiden sind zu Besuch beim Deutschen Wetterdienst und lassen sich erklären, wie mit großen Rechnern nicht nur das Wetter vorhergesagt werden kann, sondern auch Klimaveränderungen sowie Klimaprognosen für die einzelnen Regionen Deutschlands abgegeben werden können. Ein paar Zahlen: Die Durchschnittstemperatur ist in Deutschland seit 1818 um 1,6 °C gestiegen, erfahren wir. Die Nordsee am Pegel Cuxhaven steht heute 40 Zentimeter höher als 1843. Die Zahl der Hitzetage hat seit 1951 um 170 Prozent zu-, die der Schneetage um 42 Prozent abgenommen (S. 10). Bis 2050 sollen die Temperaturen in Deutschland im Jahresdurchschnitt um weitere 1,4 °C zunehmen. In den heißesten Gegenden des Landes wird die Zahl der Tage mit mehr als 25°C von heute 30 auf bis zu 80 ansteigen. Im Winter wird es mehr, immer Sommer weniger regnen – und es wird viel mehr Wolkenbrüche geben. Wir erfahren, wie diese Prognosen berechnet werden, was sie glaubwürdig macht. „Der Hitze entkommt man nicht“ wird das Kapitel über die Auswirkungen auf den Menschen überschrieben. Die Autoren erklären darin, wie der menschliche Körper funktioniert und warum Hitzestress zum Problem wird. Von einem Besuch beim deutschen Tropeninstitut berichten sie, warum sich neuartige Zecken und Mücken ausbreiten werden, etwa die asiatische Tigermücke. Dramatisch sollen die Auswirkungen auf die Natur, die Flora und Fauna sein. „In den Sommern der Zukunft kippen Seen und Flüsse immer öfter“ heißt es beispielsweise, „giftige Algenblüten und tote Fische“ werde es geben (S. 84). Viele Arten würden verschwinden, neue aggressive Arten angestammte verdrängen.
Stark verändern wird sich auch der Wasserhaushalt. Insgesamt soll es 2050 in Deutschland an die fünf Prozent mehr Niederschläge geben, doch diese sind saisonal ungleich verteilt - von den trockenen Sommern war bereits die Rede – und die Starkregenereignisse werden zunehmen. Die Unwetterwarnungen stiegen bereits jetzt an, wie den Radaranlagen des Deutschen Wetterdienstes zu entnehmen ist. Weitere Kapitel des Buches widmen sich den Auswirkungen des Klimawandels auf die deutschen Wälder, die sich erhitzenden Städte, die Küstenregionen sowie die Landwirtschaft. Auch die „Überhitzungsgefahr“ für die Wirtschaft, die Gefährdung der Stromversorgung sowie der Verkehrsinfrastrukturen, die Beeinträchtigungen des Tourismus und die Verschärfung der Sicherheitslage werden thematisiert. Das abschließende Kapitel zur Politik ist mit „Der Klimawandel passt nicht zur menschlichen Intuition“ überschrieben. Der Risikoforscher Ortwin Renn gibt Auskunft über die Herausforderungen des Klimawandels an die Demokratie, weil dieser als schleichender Prozess nicht ins Schema der üblichen Bearbeitung von Risiken passe – Kipppunkte lassen sich eben nicht gut abschätzen und einer Risikobewertung unterziehen. Ein informatives Buch, das uns die Gefahren des ungebremsten Klimawandels näherbringen möchte.