Auch Psychotherapeut:innen müssten sich zur Klimakrise äußern, dachten sich Lea Dohm und Mareike Schulze und gründeten kurzerhand die „Psychologists/Psychotherapists for Future“. Zu Beginn gab es Skepsis von Seiten vieler Kolleg:innen, doch mittlerweile umfasst die Bewegung europaweit über 1500 Mitglieder, schreiben die beiden in ihrem Buch, das sich den emotionalen Aspekten der Klimakrise sowie des Klimaengagements widmet.
Gefühle würden häufig verdrängt, wenn es um Fragen der Klimaerhitzung gehe, sind die Autorinnen überzeugt. Sie bringen hierfür das Bild des Eisbergs, bei dem nur die Spitze aus dem Wasser ragt. Wahrgenommen würden nur Klimafakten, die uns rational ansprechen sollen. Ausgespart, also unter der Oberfläche, blieben dabei die Gefühle, die die Klimakrise auslösen: Angst, Wut und Ärger, Traurigkeit, auch Schuld und Scham. Und diese Verdrängung führe zu Abwehr, Verleugnung, Gewissensberuhigung durch einzelne Öko-Taten oder Kapitulation.
Über Emotionen und Klimakrise
In ihrem Buch behandeln die Autorinnen diese Gefühle, wobei sie neben ihren eigenen Erfahrungen auch Menschen aus der Klimaforschung bzw. Klimabewegung zu deren Umgang mit Emotionen befragen. Zudem findet man zahlreiche Expertisen aus der Psychologie und Umweltkommunikation. Etwa den Bystander-Effekt. Dieser beschreibt das Phänomen, dass je mehr Menschen Zeug:innen von einer Notlage werden, desto geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass irgendwer hilft, etwa bei Autounfällen. Erklärbar sei dies durch Verantwortungsdiffusion sowie durch den Umstand, dass wir uns am Verhalten der anderen orientieren. Bezogen auf die Klimakrise: „Die Gefahr ist furchtbar und riesig, aber weil die Welt um uns herum scheinbar normal verläuft, bleiben wir ruhig.“ (S. 62) Wer hingegen die Klimakrise emotional an sich heranlässt, ändert nicht nur sein Wertesystem, sondern stellt auch seinen „kapitalistischen Lebensstil“ (S. 63) in Frage. Diesen zu verändern, erfordert Mut und die Konfrontation mit denen, die ihr gewohntes Leben weiterführen. Neben der Sorge vor der sich verschärfenden Lage und zu erwartenden Kipppunkten gehe es auch um die Angst, als Miesmacher:in oder Paniker:in dazustehen, wie etwa Gregor Hagedorn vom Museum der Naturheilkunde Berlin, einer der Initiatoren der Scientists for Future, im Interview bestätigt. Die Warnenden als das Problem hinzustellen, orten Dohm und Schulze als eine Form der Angstabwehr, ähnlich wie die Verzögerungsdiskurse. Doch: „Die beste Möglichkeit der Angstreduktion wäre ambitionierter Klimaschutz, der in klar messbare, zügige Verringerung und Verhinderung von Emissionen mündet.“ (S. 85)
Ärger und Wut über die Tatenlosigkeit der Verantwortlichen ist aus vielen der Interviews herauszuhören. Dohm und Schulze empfehlen, die Wut in Mut und Engagement zu transformieren. Gemeinsames Handeln helfe auch, Ohnmachtsgefühlen entgegenzuwirken, Freude und Verbundenheit herzustellen. Problematisch sei das Abschieben der Verantwortung auf die junge Generation, die alle Last schultern solle – in der Psychologie bekannt als „Parentifizierung“. Eltern haften nicht nur für ihre Kinder, sondern auch für die Verantwortung, diesen eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Kinder auf Demos mitzunehmen, sei aber durchaus sinnvoll, weil man diesen so zeige, dass Handeln möglich ist.
Eine Stärke der Klimabewegung sehen Dohm und Schulze in der strikten Gewaltfreiheit, was Besetzungen oder Straßenblockaden nicht ausschließe. Die Gefahr der Radikalisierung sei gegeben, wenn Bewegungen längere Zeit nicht Gehör finden. Mehr Sorgen bereite ihnen aber eine andere Radikalität, so die beiden: „Nichthandeln von bestens informierten Politiker*innen und ein auf unerbittliches Wachstum ausgerichtetes ökonomisches ‚Weiter-so‘.“ (S. 111) Carola Rackete wird mit der Enttäuschung über das ‚demokratische Europa‘ und deren Entscheidungsträger:innen zitiert, die sowohl die Not der flüchtenden Menschen wie die Umweltkrise ignorierten. Sie spricht von „Verrat“, den sie und ihre Aktionskolleg:innen verspüren (S. 120).
„Ins Handeln kommen“
„Ins Handeln kommen“ – so das letzte Kapitel – beginnt für Dohm und Schulze beim eigenen Lebensstil, dem Wirken im Freundeskreis, der Familie und am Arbeitsplatz und setzt sich fort beim Aufbau neuer Initiativen etwa der „Solidarischen Landwirtschaft“ oder des „Gemeinschaftlichen Wohnens“, brauche aber insbesondere politischen Protest: „Nur wenn wir gesellschaftlichen Druck auf Politik und Wirtschaft aufbauen, werden wirkliche Veränderungen erfolgen.“ (S. 214) Wir Menschen seien sehr flexibel und könnten uns auf neue Situationen gut einstellen, das mache Hoffnung, so die Psychotherapeutinnen. Dass neue ökologische Routinen in den bestehenden Strukturen nicht einfach, aber machbar sind, und wir dadurch mehr Freiheit von Konsumzwängen gewinnen können, zeigen die beiden auch an persönlichen Schilderungen, die sie ins Buch einweben.