Charles Eisenstein ist schon seit längerer Zeit auf der Suche nach Antworten auf Fragen wie „Woher kommt die Ungerechtigkeit?“, „Wozu ist der Mensch auf der Erde?“. Dazu untersucht er insbesondere gemeinsame Vorstellungen und Geschichten, die die Grundlage unserer Zivilisation bilden.
Mit Klima legt er ein großartiges Werk vor, das einen umfassenden Blick auf die Klimadebatte wirft und über bekannte Sichtweisen hinausweist. Der gängigen Erzählung der Erderwärmung misstraut er, zählt sich aber nicht zu den Skeptikern. Vielmehr verweigert er sich dieser Grenzziehung und hinterfragt die verschiedenen Überzeugungen. Nicht die Uneinigkeit in der Bandbreite zwischen Skeptikern und Apokalyptikern ist das Problem, sondern die zugrundeliegenden gemeinsamen Annahmen, die weder gesehen noch hinterfragt werden. Dazu gehört, den Klimawandel nur quantitativ in CO2-Werten, aber nicht qualitativ zu betrachten. Von einem Kampf gegen den Klimawandel zu sprechen, bezeugt ein tief verankertes Kriegsdenken, das ebenso ein dominanter Aspekt des vorherrschenden Narrativs ist. Die Erzählung lautet, der Mensch sei ein Gegenüber der Natur, wobei er ihr eine eigene Wesenheit abspricht und in der Folge Ausbeutung legitimiert. Eine solche lineare und reduktionistische Sicht lässt es logisch erscheinen, einem Zuviel an CO2 die einfache Lösung des Absenkens entgegenzusetzen. Reduktionistisch deshalb, weil die Gesamtheit aus dem Blick gerät: Auf der ganzen Welt wurden Ökosysteme zerstört, lange bevor die Industrialisierung für den Anstieg der Klimagase sorgte. Wälder und Moore haben eine enorme, in Zahlen schwer fassbare Aufnahmekapazität von CO2. Diese Organe sind heute zu geschädigt, um eine Erwärmung selbst abzufangen. Die Erde als lebenden Organismus mit eigenen Organen zu sehen, hilft zu verstehen, dass jedes einzelne Ökosystem bedeutsam für den ganzen Planeten ist. Die Verletzlichkeit der Erde wird sichtbar, aber auch ihre Fähigkeit zur Regeneration.
Den Blick auf das Lokale richten
Mit dem Fokus auf die CO2-Werte wird auch das Ziel der Klimaaktivistinnen und -aktivisten unnahbar. Wenn sich aber der Blick auf das Lokale richtet, kann eine Beziehung zu den Orten aufgebaut werden. Trotz globaler Krise, ja gerade deshalb, ist es notwendig, dass sich jeder und jede dem besonderen Landstrich zuwendet, dem er oder sie sich verbunden fühlt. So gewinnen auch die schützenden Tätigkeiten in ihrer Vielfalt wieder an Bedeutung; beispielsweise kann Vogelschutz neben dem angeblich sinnvolleren Windpark bestehen. Warum also ist in der gängigen Denkweise zum Klimawandel vorrangig die Rede von Kohle, Öl und Abgasen, nicht aber von Mooren, Humus und Wäldern?
Eisenstein ruft dazu auf, das Klimachaos aus der Perspektive von Gaia (der Welt als lebendem Organismus) und der biologischen Vielfalt zu sehen, zu der auch wir Menschen gehören. Dieses neue Paradigma geht nicht von Trennung aus, sondern von Interaktion. Die derzeitige Krise ist eine Initiation in einem Wandlungsprozess von der „Geschichte der Separation“ hin zu einer „Geschichte des Interbeing“ (S. 15). Dieser Begriff meint über eine wechselseitige Vernetzung hinaus die existenzielle Verbundenheit allen Seins auf der Welt. Ein Umstellen der industriellen Gesellschaft auf erneuerbare Energie reicht aus dieser Perspektive nicht aus; jeder Aspekt der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik muss sich auf die neue Geschichte des Interbeing ausrichten.
Eine erfrischende Gratwanderung
Eisenstein gelingt mit diesem Buch eine erfrischende Gratwanderung: Als Kulturphilosoph und Mathematiker hält er fundierte „wissenschaftliche“ Einsichten in Zusammenhänge von Kultur- und Naturphänomenen bereit – verliert aber nicht an Glaubwürdigkeit, wenn er Empfindsamkeit als bedeutende menschliche Fähigkeit erkennt. Wo die Revolution Liebe ist, sind rationale Argumente hinfällig. Denn „in Wahrheit lieben wir die Welt um ihrer selbst willen, und nicht für das, was sie uns liefert“
(S. 207). Mit der Akzeptanz eigener Irrationalität gewinnen seine Erläuterungen vielmehr an Gewicht. Der Autor verharrt aber nicht bei philosophischen Erkenntnissen, sondern zeigt Wege auf, dieser neuen Richtung zu folgen, wo das Potenzial unseres Seins, unsere Menschlichkeit, zur Entfaltung kommen kann. Maßnahmen, die er am Ende des Buches sammelt, sind schon heute machbar, selbst wenn es nicht so scheinen mag. Vielerorts wird die Krise ein Vakuum hinterlassen, das mit Ideen gefüllt werden will, und auch ohne breiten Konsens und institutionelle Unterstützung können Maßnahmen gesetzt werden.
Obwohl das Buch einmal mehr deutlich macht, wie schlimm es um unseren Planeten steht, regt es auf wohltuende Weise an, uns und unsere vergessene Fähigkeit neu zu entdecken, für das Lebendige Sorge zu tragen; und dass hier auch die kleinen Taten Bedeutung haben, da sie Teil einer großen Bewegung sind.