Hans Karl Peterlini, Jasmin Donlic (Hg.)

Jahrbuch Migration und Gesellschaft 2022/2023

Ausgabe: 2024 | 2
Jahrbuch Migration und Gesellschaft 2022/2023

Das im transcript Verlag erscheinende „Jahrbuch Migration und Gesellschaft 2022/2023“ beschreibt anhand vielfältiger Expert:innenbeiträge die Überschneidungen von Klimakrise, Flucht und Migration. Dabei zeigt sich: der Zusammenhang geht über die medial oftmals diskutierten Klimaflüchtlinge hinaus. Es geht um globale Verantwortung, die ganz konkreten Herausforderungen der Klimakrise, aber auch um neue Formen des Miteinanders. Zudem liegt in einer transnationalen Community auch viel Potenzial, denn die Rücküberweisungen der migrierten oder geflüchteten Menschen in ihre Heimatländer können auch zur nachhaltigen Transformation vor Ort beitragen, wie die Beispiele im Jahrbuch belegen.

Die mit der Push-Pull Theorie verbundenen Lösungsansätze globaler Migrationsbewegungen sind für die beiden Herausgeber:innen des Jahrbuchs, Hans Karl Peterlini und Jasmin Donlic, in Zeiten der Klimakrise nicht mehr zutreffend. Denn aktuell haben Klimaflüchtlinge keinen rechtlich gesicherten Anspruch auf Schutz, wie er im Rahmen der Genfer Konvention geregelt ist. Doch kann bei einer Migration aufgrund von Überschwemmungen ganzer Regionen oder anderer Umweltkatastrophen noch von einer freiwilligen Migration gesprochen werden? Die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb bringt die Veränderungen für Migrationsregime durch die Klimakrise sehr prägnant auf den Punkt, indem sie schreibt: „Migration is one form of adaption to climate change, and in some cases it is the only option – e.g. in cases of sea level rise, and b) climate change is not just an environmental problem – it is a societal problem with a multitude of interacting consequences“ (S. 22). In Anbetracht der komplexen Lage wird es auch zunehmend schwieriger werden, eine eindeutige Definition der Fluchtgründe zu finden, da neben Dürre und Hunger oftmals auch indirekte Folgen der Klimakrise als Gründe zu nennen sind, wie etwa Bürgerkriege, die aufgrund von (drohender) Ressourcenknappheit aufflammen.

Für den Zusammenhang von Energie(produktion) und Flucht berufen sich die Autor:innen einleitend auf eine 2017 durchgeführte Studie in Nepal, welche aufzeigt, dass sich aufgrund des Zuganges zu leistbarer, sauberer Energie vor Ort nicht nur die Quote der Migrierenden, sondern auch die Armutslagen der Bevölkerung verringert haben. Soweit wenig verwunderlich. Doch die Tatsache, dass der Zugang zu Energie für geflüchtete Menschen insbesondere während ihrer Flucht essenziell ist und darüber hinaus große Flüchtlingscamps die Infrastruktur der Aufnahmeländer selbst bedrohen können, wurde bislang wenig beleuchtet, wenngleich es nicht an Relevanz und auch best practice Beispielen mangelt. An dieser Stelle wird auf Jordanien verwiesen, das seit Ausbruch der Krise in Syrien hunderttausende Menschen auf der Flucht aufgenommen hat.  Die Infrastruktur vor Ort ist aufgrund des großen Mehrbedarfs jedoch unter Druck geraten, woraufhin 2017 ein Solarkraftwerk für eines der großen Flüchtlingslager errichtet wurde. Damit konnte sichergestellt werden, dass die Infrastruktur vor Ort nicht gänzlich überlastet wird und die Menschen im Camp Zugang zu sauberer Energie haben.

Neben solchen Notfalllösungen gilt es aber auch, die Lage in den Ankunftsländern zu verbessern, was mittels Rücküberweisungen auch von der bereits migrierten Gemeinschaft selbst getragen wird, wie auch Thomas Faist im Buch „Exit“ darstellt. In diesem Kontext mahnt er jedoch auch zur Vorsicht, da Rücküberweisungen zum Teil bestehende Ungleichheiten vor Ort verstärken können. 2020 gelangten über Rücküberweisungen weltweit 540 Milliarden Dollar in Niedrig- und Mitteleinkommensländer, dem gegenüber stehen 162.17 Milliarden Dollar an offizieller Entwicklungshilfe weltweit. Und dieses Potenzial wird auch genutzt, etwa von Initiativen wie RemitEnergy, welche als Schnittstelle zwischen Rücküberweisungen und der Hilfe vor Ort verstanden werden können. Während drei Viertel der Geldmittel zur Deckung unmittelbarer Grundbedürfnisse verwendet werden, wird der Rest der Rücküberweisungen für die Bereitstellung der Infrastruktur zur nachhaltigen Energiegewinnung genutzt. In Haiti beispielsweise konnte dieses Prinzip bereits Erfolge verzeichnen, doch fehlt es aktuell noch an konkreten empirischen Studien über die langfristigen Folgen infrastruktureller Projekte, welche mittels Rücküberweisungen finanziert werden.

Der Versuch, Klimaforschung aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven mit einer kritischen und reflexiven Migrationsforschung in einen Dialog zu bringen, kann als geglückt angesehen werden, insbesondere, da im Sammelband noch viele wichtige Perspektiven, wie etwa Klimabildung, Soziale Arbeit und Mobilität behandelt werden. Natürlich haben Sammelbände dieser Art auch inhaltliche Grenzen, da die Texte zumeist nur wenige Seiten umfassen, doch als Überblick und Einladung zur weiteren Vertiefung der Verbindung der Klima- und Migrationsfrage stellt es die ideale Ausgangsbasis dar.