Impulse der Jesuiten für eine solidarische Gesellschaft

Ausgabe: 1996 | 2

Mehrjährige Erfahrungen als Entwicklungshelfer in Bolivien und die von lokalen Kirchenfunktionären letztlich desavouierte Tätigkeit als Bildungsreferent der Erzdiözese Salzburg waren es, die Hans Eder mit der Praxis und der zumindest innerkirchlichen Sprengkraft der Theologie der Befreiung konfrontierten; ein Studium der Politikwissenschaft trug dazu bei, das Verständnis dieses Ansatzes theoretisch zu vertiefen. Die vorliegende Publikation reflektiert befreiungstheologisches Denken und Handeln auf drei Ebenen: der Darstellung der Analyse von Herrschaft und Unterdrückung durch die Theologie der Befreiung folgt eine Einschätzung ihres Potentials zur Einleitung befreiender Prozesse, um schließlich ihr spezifisches Verständnis indigener Denkmuster und Traditionen ins Blickfeld zu rücken. Als konkretes Modell zur Analyse befreiungstheologischer Theorie und Praxis wird auf die bolivianische Organisation CIPCA (Centro de Investigación y Promoción del Campesìnado) Bezug genommen, eine 1971 gegründete Jesuiten-NGO, deren Studien und Aktivitäten in Politik, Wirtschaft und Kultur von politischem Lobbying über alternative Formen wirtschaftlicher (Selbst-)organisation bis hin zu Bildungsaktivitäten reichen. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, daß zentrale Kategorien der angestrebten neuen Gesellschaft aus der Gedankenwelt der Indigenas abgeleitet und in eine Affirmation des/der Anderen überführt werden. Genannt sei nur der hohe Stellenwert einer Solidargemeinschaft, welche - in nicht-anthropozentrischer Perspektive - die gesamte Erde und die auf ihr lebenden Tiere und Pflanzen umfaßt. Die Befreiungstheologie kann in politischer Hinsicht als antikapitalistischer Ansatz gewertet werden, der eine ganze Fülle linker Theorieelemente rezipiert - hervorzuheben wäre etwa der zentrale Stellenwert dependenztheoretischen Denkens - und auf der politischen Systemebene mit einer kommunitär geprägten Sozialismuskonzeption kompatibel ist. Gleichzeitig bedient sich die Theologie der Befreiung in der politischen und gesellschaftlichen Analyse einer Reihe transzendenter Kategorien („Reich Gottes", "institutionelle Sünde" etc.). die den religiösen Charakter des Ansatzes unterstreichen und ihn in diesen Punkten dem/der profan Denkenden unzugänglich machen. Insgesamt gelingt es dem Autor, vor dem Hintergrund einer profunden Kenntnis der bolivianischen Gesellschaft solidarische Ansätze gegen das herrschende neo-liberale Modell darzustellen und in einem abschließenden Teil in Impulse für die praktische Solidaritätsarbeit zu übersetzen. Indikatoren für das politische Gewicht der Theologie der Befreiung innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche finden sich freilich nicht. Es wird aber deutlich, daß der befreiungstheologische Ansatz als ein Gegentrend zum Phänomen einer umfassenden Entsolidarisierung begriffen werden kann, die in Zeiten der Dominanz der neo-liberalen Doktrin sowohl die Gesellschaften Lateinamerikas als auch das Nord-Süd-Verhältnis insgesamt erfaßt hat. G. S.

Eder, Hans: Politische Dimensionen der Theologie der Befreiung. Impulse der Jesuiten für eine solidarische Gesellschaft der Anderen. Frankfurt/Main: Lang, 1996. 471 S.