Dieser Sammelband dokumentiert eindrucksvoll, dass mit dem Fall des Realsozialismus nicht notwendig vom Ende der gesellschaftlichen Relevanz der politischen Utopie die Rede sein muss. Zwar besteht Konsens darüber, dass das utopische Denken als geschlossener Systementwurf vorbei ist, doch wird andererseits von einigen Autoren die Möglichkeit zu utopischen Entwürfen als Signum einer lernfähigen Gesellschaft apostrophiert. Geboten wird ein breites Spektrum an politischen und wissenschaftlichen Meinungen. Interessant v.a. die Abschnitte drei und vier, in denen es um die Utopie als regulatives Prinzip und um utopische Potentiale der alternativen Bewegung und des Feminismus geht. Der Herausgeber schreibt dem utopischen Denken gar eine Schlüsselfunktion bei der Sicherung der natürlichen Überlebensbedingungen zu. Am Beispiel des jüngsten Berichts des Club of Rome ("Die erste globale Revolution") wird deutlich, dass wir eine Vision von einer Welt brauchen, "in der wir gerne leben wollen". Rolf Schwendter beschäftigt sich mit Utopien aus dem Umfeld der sozialen Bewegungen, die er mit dem Begriff „Piece-Meal-Utopien" umschreibt. Wortgewaltig argumentiert er dagegen, mit der Desavouierung der Opposition und dem Ende des Realsozialismus "jegliches Nachdenken über grundsätzliche Alternativen gleich mitzuerledigen". Neben J. Fest und H. M. Enzensberger plädiert dagegen E. Jesse für den Verzicht auf jede Form der Utopie, "weil Totalentwürfe die Gesellschaft auf einen Holzweg führen". Dem hält Udo Bermbach die lebensnotwendige, weil lebenserhaltende Funktion der Utopie entgegen und fordert, sie als Überlebensstrategie, "verstanden als jene regulative, die Wirklichkeit übergreifende Idee eines nicht mehr auflösbaren Restes von rationaler Politik", zu begreifen I. Fetscher empfiehlt, den Missionaren zu misstrauen und auf jene Denker zu hören, die ihre Aufgabe als kritische Helfer versehen, "die uns die Augen für das öffnen, was an unserer Gesellschaft" veränderbar ist. J. Strasser entwirft Umrisse einer "aufgeklärten Utopie", die helfen sollte, eine Zukunft in Freiheit für die Menschen zu finden. Schließlich kommt R. Zitelmann bei der Beschäftigung mit den negativen und positiven Seiten der Utopie zu folgendem Fazit: "Vielleicht bedürfen die Menschen in gewissen historischen Phasen der Motivation und der mobilisierenden Kraft großer Zukunftsentwürfe, um in der Realität das zu verändern, was praktisch veränderbar ist." AA
"Hat die politische Utopie eine Zukunft?“ Hrsg. v. Richard Saage. Darmstadt: Wiss. Buchges. (unkorr. Vorabdruck), 1992. 258 S. ca. DM 35.- / sFr 29,60 / öS 273