Annelie Ramsbrock

Geschlossene Gesellschaft

Ausgabe: 2021 | 1
Geschlossene Gesellschaft

Wie hat sich das Konzept des Strafvollzugs in Deutschland geändert? Wie wandelte sich der politische und gesellschaftliche Blick auf Gefängnisse und Inhaftierte? Mit diesen Fragen hat sich die Historikerin Annelie Ramsbrock in ihrem Buch zum Strafvollzug in Deutschland beschäftigt. Der Fokus liegt dabei auf den Nachkriegsjahren bis 1985.

Nach dem menschenverachtenden Strafvollzug im Nationalsozialismus wurde ab den 50ern die Resozialisierung als neuer Leitwert anerkannt. Personelle und ideologische Kontinuität, schlecht ausgebildetes Aufsichtspersonal und katastrophale Infrastrukturen in Gefängnissen verhinderten aber  eine umfassende Umsetzung. Erst ab den 60ern  begann sich die Sozialisationstheorie durchzusetzen und damit auch der Resozialisierungsgedanke – im Sinne einer Sozialtechnik, die sich zum Ziel setzte, Inhaftierte wieder zu wertvollen Gesellschaftsmitgliedern zu machen. Der Resozialisierungsgedanke konnte nur durch einen gesellschaftlichen Wertewandel Fuß fassen, doch gab es hier keine Einigkeit: „Die Vorstellung, dass Strafgefangene eher sozialer Hilfe bedürften als einer Strafe für begangene Taten, war demnach zwar Ende der 1960er Jahre sagbar geworden, aber nicht unbedingt Konsens, jedenfalls nicht in eher konservativen Teilen der bundesdeutschen Öffentlichkeit.“ (S. 86)

Ein großer Teil des Buchs thematisiert das Alltagsleben der Gefangenen: von der sich wandelnden Rolle des Aufsichtsdienstes, von dem zunehmend sozialarbeiterische Tätigkeiten abverlangt wurden, über die Rolle von Arbeit und aktiver Freizeitgestaltung als Motoren für Resozialisierung bis zu verschiedenen Formen der Sozialtherapie, inklusive problematischer Eingriffe wie Kastration. Resozialisierung als Sozialtechnik ist dabei stets an Grenzen gestoßen, wie Ramsbrock im letzten Teil des Buches kritisch anmerkt – und zwar bis heute: „Gefangene töten hinter Gittern und werden getötet. Der Drogenhandel floriert auch hinter Gefängnismauern. Und Menschen, die lange in Haft sind, werden nicht resozialisiert, sondern fürchten, ein Leben in Freiheit nicht mehr führen zu können.“ (S. 296) Angesichts der Detailfülle und engen zeitlichen und räumlichen Abgrenzung richtet sich das Buch eher an ein einschlägiges Fachpublikum – eine dichte Studie, die  Einblick in den Gefängnisalltag in der alten BRD gewährt.