Regelmäßig leistet Hans Joas, Sozialphilosoph an der Theologischen Fakultät der Humboldt Universität in Berlin, spannende Beiträge zu aktuellen Debatten. Diesmal liefert er Argumente gegen eine weitere Europäische Integration: Joas widerspricht nicht, wenn der evangelische Bischof Heinrich Bedford-Strohm Nationalismus eine Sünde nennt (vgl. S.92). Er ist aber gegenüber „leidenschaftlichen Europäern“ genauso skeptisch wie gegenüber leidenschaftlichen Deutschen. Vier Aspekte bringt er in die Debatte ein. Beim ersten bezieht er sich auf den Historiker Otto Hintze. Dieser verwies darauf, dass sich die Form des Imperialismus über die Zeit änderte. Er spricht für die Zeit nach 1945 von einem „föderalen Imperialismus“. Nur weil Staaten sich näherkommen, hieße das nicht, dass diese neuen postnationalen Formen nicht imperialistisch sein können.
Zweitens erinnert er an den Rechtstheoretiker Carl Schmitt. Für Schmitt wirkten übernationale Einheiten, Reiche, stabilisierend. Einzelne, ausgewählte, ausreichend starke Nationen sollen Raum jenseits der eigenen Grenzen do-minieren, Hinterhöfe kontrollieren. Eine sinnvolle Aufteilung der Welt in solche Sphären entfalte ordnende Wirkung. Im NS-Regime waren diese Überlegungen Grundlage für die Konzeption eines gemeinsamen Europas unter deutscher Führung. Keine positive Traditionslinie der Integration. Das dritte Argument bezieht sich auf die Kolonialgeschichte. „In derselben Zeit, in der Frankreich und Großbritannien die europäische Menschenrechtskonvention vorantrieben und in den Jahren danach setzten sie in Algerien, das als Teil des ‚Mutterlandes‘ betrachtet wurde, bzw. in Kenia, das in Teilen als Gebiet für europäische Siedler gedacht war, Folter in großem Umfang ein, mit Opferzahlen in den Tausenden.“ (S.69) Europäische Integration und menschlicher Fortschritt gehen keineswegs automatisch Hand in Hand.
Schließlich, viertens, fürchtet Joas, dass eine gemeinsame Verteidigungspolitik dazu führen würde, dass die strikten deutschen Regelungen zu Rüstungsexport und Streitkräfteeinsatz gelockert würden und auch der Parlamentsvorbehalt beim Einsatz der Bundeswehr fallen könnte. „Der Übertreibung der Gefahren, die ein verstärkter Nationalismus für den Frieden in Europa bedeute, steht ein merkwürdiges Desinteresse an den Gefahren gegenüber, die eine europäische Interessenspolitik im Weltmaßstab beinhaltet.“ (S. 95)