Genzeit. Industrialisierung von Pflanze, Tier und Mensch

Ausgabe: 1988 | 1

Die Technik der Eingriffe ins Lebendige schreitet unaufhaltsam voran und hat nicht nur erkenntnistheoretische Ursachen: "Wie andere Techniken haben auch diese nur innerhalb einer hierarchischen Gesellschaft entwickelt werden können; sie setzen Machtmonopole und in einigen wenigen Händen konzentriertes Kapitel voraus. Demokratisieren lassen sie sich nicht!" Befremdung und Angst müßten auch in diesem Bereich dringend der Informiertheit weichen. Die Autorinnen dieses Bandes waren auf Spurensuche der Gen- und Fortpflanzungstechniken in der Schweiz, und das nicht ohne Schwierigkeiten. "Es war nicht leicht, uns im Durcheinander von dem, was einer meint und dann macht, aber es nicht so gemeint hat, wie es dann wirkt, und es trotzdem weiterhin tut (...) zurechtzufinden. "

Das Besondere an den schweizerischen Verhältnissen ist die Schwierigkeit zu recherchieren, denn das Informationsmonopol der Unternehmen ist radikal geschützt. Wie anderswo trifft allerdings auch für die Schweiz zu, "daß die großen Konzerne, zusammen mit staatlichen Forschungszentren, die weitere Entwicklung der Gentechnik bestimmen werden". Abgesehen von den finanziellen und technischen Dimensionen liegt die Brisanz der Gentechnologie in ihren vielfältigen Möglichkeiten, Lebensprozesse zu steuern, zu kontrollieren und zu verändern. Hinzu kommt, daß diese Technik zu' politischem Machtmißbrauch verwendet werden kann. Die größte Gefahr sehen die Autorinnen darin, daß Verantwortliche sich durch isolierte, geschichtslose Betrachtung der Verantwortung entziehen: "Man hat es dann einfach nicht besser gewußt, wenn sich die Dimensionen in ihrem ganzen Ausmaß zeigen."

Die einzelnen Beiträge geben einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung und Produktion aller in der Schweiz ansässigen Firmen und deren internationale Verbindungen. Die Geheimhaltung bei Forschung und Entwicklung bis zur Produktionsreife muß hier jedoch als unkalkulierbare Einschränkung in Betracht gezogen werden. Die Kontrolle dieser Technik durch alle gesellschaftlichen Kräfte ist dringend gefordert. Vor allem die Frauen sind, da sie mit pränataler Diagnostik und Fortpflanzungstechniken konfrontiert sind, dazu aufgerufen, Stellung zu beziehen. Aber die "Genzeit" betrifft auch Bauern hier und in den Entwicklungsländern, Gesunde, Kranke u.a.m. Aktivismus und Widerstand tut not. Im Gegensatz zur Anti-AKW-Bewegung gibt es im Bereich der Gentechnik keine territorialen Brennpunkte für den Widerstand. Zu vielfältig und weitverzweigt sind die Forschungs- und Produktionsstätten. Trotzdem sind die Autorinnen zuversichtlich, denn "das vielfältig Lebendige, das letztlich unberechenbar bleibt", wird die Stärke des Widerstandes sein.

Genzeit. Die Industrialisierung von Pflanze, Tier und Mensch. Hrsg. v. Claudia Roth. Zürich: Limmat, 1987. 207S. DM 38,- / sfr 31,90/ öS 296,40