Zeitbombe Gentechnik, Riesengeschäft Gentechnologie

Ausgabe: 1988 | 4

Der Sieg über Krebs, AIDS und ähnliche Geißeln der Menschheit wird ebenso heraufbeschworen wie monströse Mischwesen und geklonte Menschen. Das Janusgesicht der biochemischen Spitzentechnologie wird in diesem Buch allgegenwärtig. Hingst informiert umfassend und ohne Panikmache über die Geschichte der Gentechnologie, den Mikrokosmos Zelle, über Erbkrankheiten, Nahrungsmittel, Reproduktionstechniken, Rechtsprobleme sowie philosophische und ethische Fragen. Am Ende der Entwicklung stehen gezielte Veränderungen des menschlichen Erbgutes und damit die Züchtung eines "Menschen nach Maß". Ob Riesengeschäft oder immense Gefahr, er spart keines der aktuellen Probleme aus.

Hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Wissenschaftler erhärten Aussagen von Forschern die Vermutung großer Fahrlässigkeit. Gefordert wird eine "Neuauflage der Sicherheitsdiskussion". Nach Ansicht des Autors brauchen wir wieder Wissenschaftler, "die bis ans Ende denken, die in Kreisläufen denken, die ans Ganze denken, an lange Perioden, die vieldimensional und vernetzt denken".

Hingst spricht sich ausdrücklich für ein Verbot der Reproduktionstechnologie, einer ausschließlich wirtschaftlichen Interessen dienenden Gentechnik und aller Freilandversuche aus. Nach strenger Prüfung sollte man Gentechnik für die Herstellung von Impfstoffen sowie die molekularbiologische Forschung zur Aufklärung der Ursachen von Krebs fortführen. Künstliche Befruchtung bezeichnet Hingst als "Tor zur Hölle".

Nach 'Zeitbombe Kosmetik "und 'Zeitbombe Radioaktivität" gelingt dem Autor ein gut recherchierter Überblick über den aktuellen Stand der 8iound Gentechnologie. Wie oft gezeigt wurde - Hingst ruft es uns in Erinnerung - befindet sich der Mensch auf der Triebstruktur des Steinzeitmenschen. Unsere Tötungshemmung entspricht längst nicht mehr den technischen Möglichkeiten. "Wir foltern oder töten nur allzu leicht auf Knopfdruck. " Fragwürdige Legitimationen mit dem Argument 'wir tun ohnehin nur das, was die Natur auch tat und tut", lenken lediglich vom gentechnisch aufbereiteten Krieg mit biologischen Kampfstoffen und Eingriffen in die Natur ab.

Interessantes zum Thema findet sich in der Jahresschrift für skeptisches Denken: Altner. Günter: Ist Evolution biologische Gentechnik? Dialog über das Unzulängliche in der Geschichte der Natur. S. 1-8. Chargaff. Erwin: Belsazar kloniert. Bemerkungen zur Fortpflanzungstechnologie. S. 9-16 - beide in: Scheidewege. 18. Jg. 1988/89. Zur "Freisetzung gentechnisch veränderter Mikroorganismen?" sind Ansichten in: universitas. 1988, Nr. 11, S. 1135-1150 nachzulesen.

Eine ausgezeichnete Darstellung des komplexen Verhältnisses von Technik, Wissenschaft und Gesellschaft findet man in der Zeitschrift WECHSELWIRKUNG. 1988/4. Das von der Redaktion als 'Zeitgeistlotto 11bezeichnete Auswahlverfahren hat eine beeindruckender Liste von Beiträgen entstehen lassen, wie sie in dieser Qualität und Vielfalt für gewöhnlich nicht zu finden ist. Mitarbeiter der anläßlich des 10jährigen Bestehens exklusiv gestalteten Nummer sind u.a. U. Briefs, F. Duve, E. Hickel, M. Jänicke, K. M. Meyer-Abich, U. E. Simonis sowie H. Weinzierl. Sie schreiben unter dem Motto "Der Geist unserer Zeit", zu dem sie alle durch ihre Gedanken selbst wesentlich beigetragen haben.

Hingst, Wolfgang: Zeitbombe Gentechnik. Wien: Orac, 1988.264 S. DM 39,80/sfr 36,60/öS 298