Gegen Aggressionen in Familie, Schule und Freizeit

Ausgabe: 1996 | 3

Es war eines der großen Verdienste von Erich Fromm, die Unterscheidung zwischen "gutartiger" und "bösartiger" Aggression eingeführt zu haben. Die Differenzierung ist aus anthropologischer Sicht notwendig, um dem sozialen Wesen Mensch gerecht zu werden. Nun scheint es, als ob durch den neuen Gewalt-Diskurs eine (nicht nur begriffliche!) Unschärfe wieder eingeführt zu werden droht. Die "political correctness" im Reden über Gewalt bewirkt offenbar, daß "Gewalt" und "Aggression" beinahe synonym verwendet werden, nach dem Motto, beides sei schlecht und man müsse etwas dagegen unternehmen. Auf diese Fahrlässigkeit stößt man der Titel kündigt es an - gelegentlich auch im vorliegenden Band. Die Annäherung an den Begriff "Gewalt" scheint zu unpräzise: wenn die Herausgeber "von Gewalt sprechen", dann haben sie "verschiedene Formen und Ausdrucksweisen von direkter Aggression unter Menschen im Blick" - Fromm und Galtung würden Einspruch erheben. Zudem sind im Gewalt-Diskurs mit "Menschen" mittlerweile selbstredend "Jugendliche" gemeint. Es scheint somit nur konsequent, wenn dann "Schulschwänzen" und „Disziplinlosigkeit im Unterricht" bereits als Gewalt bezeichnet wird (Beitrag von Heidrun Bründel). Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums hingegen schreiben Seidel-Pielen/Farin: "Die These von der gewaltbereiten Jugend war noch nie so falsch wie heute." Es verhält sich tatsächlich schwierig mit der Beantwortung der Frage, ob denn die Gewalt (von Jugendlichen) nun zugenommen hat oder nicht. Steilen wir etwa die falschen Fragen? In den meisten Beiträgen wird dann jedoch sehr wohl differenziert zwischen (gutartiger und bösartiger) Aggression und (personaler, struktureller und kultureller) Gewalt - nicht als kleinkariertes Wortspiel, sondern als Ausdruck einer pädagogisch und politisch differenzierten Herangehensweise. Hervorzuheben ist der Beitrag von Christian Büttner und Urte Finger-Trescher, die sich mit dem Spannungsverhältnis von Pädagogik und Gewalt auseinandersetzen. Plötzlich wird da nicht mehr nur die Frage gestellt, was wir denn tun können, sondern es wird auch überlegt, was wir denn besser unterlassen sollten. I. B.

Der Anti-Gewalt-Report. Handeln gegen Aggressionen in Familie, Schule und Freizeit. Hrsg. v. Klaus Hurrelmann,  Weinheim (u.a.): Beltz Verlag, 1995. 248 S.